Flammen des Himmels (Roman)

Flammen des Himmels (Roman)
Produktcode: AD5376
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ProduktbeschreibungEine grausame Zeit, ein unerbittlicher Inquisitor, eine verbotene Liebe.

Iny Lorentz entführt ihre Leser ins Münster des 16. Jahrhunderts, wo die junge Frauke nicht nur um ihre Liebe, sondern auch um ihr Leben kämpfen muss.
 
Münster, im 16. Jahrhundert: Die junge Frauke Hinrichs und ihre Familie werden als Wiedertäufer verdächtigt und mussten deshalb bereits dreimal fliehen, um dem Tod zu entgehen. Doch nun scheinen sie in Sicherheit zu sein. Selbst als ein berüchtigter Inquisitor in der Stadt auftaucht, erkennt Fraukes Vater die Gefahr nicht. Als die Bürger dem "Bluthund des Papstes" ein Opfer nennen müssen, um selbst keinen Verfolgungen ausgesetzt zu sein, fällt ihre Wahl auf die Familie Hinrichs. Frauke kann fliehen - mit Hilfe Lothars. Er ist der Sohn eines engen Vertrauten des Fürstbischofs und liebt das Mädchen heimlich. In Münster sehen sie sich wieder - und stehen auf feindlichen Seiten.

Klappentext zu „Flammen des Himmels“

Münster im 16. Jahrhundert.
Die junge Frauke Hinrichs und ihre Familie werden als Wiedertäufer, also Mitglieder einer verbotenen Sekte, verdächtigt und mussten deshalb schon dreimal fliehen, um dem Tod zu entgehen. Nun scheinen Frauke und die Ihren in Sicherheit zu sein. Doch es ist nur eine trügerische Sicherheit, denn ein berüchtigter Inquisitor taucht in ihrer Heimatstadt auf, der sich die Vernichtung aller Irrgläubigen auf die Fahnen geschrieben hat.
Fraukes Vater erkennt die Gefahr nicht, da er sich mittlerweile für einen geschätzten Bürger hält. Als seine Mitbürger dem "Bluthund des Papstes" jedoch ein Opfer nennen müssen, um selbst keinen Verfolgungen ausgesetzt zu sein, fällt ihre Wahl auf die Familie Hinrichs. Frauke kann fliehen mit Hilfe Lothars. Er ist der Sohn eines engen Vertrauten des katholischen Fürst bischofs und liebt das Mädchen heimlich. Als sie sich wiedersehen, stehen sie auf feindlichen Seiten

Bibliografische Angaben

2013, 752 Seiten, 1 Schwarz-Weiß-Abbildungen, Maße: 15 x 21,9 cm, Gebunden, Deutsch
Verlag: Knaur
ISBN-10: 3426663805
ISBN-13: 9783426663806

Rezension

"Spannend und voller weiblicher Kraft - ein echter Lorentz eben!" -- Spaß für mich, 01.10.2013

"Wer das Buch DIE WANDERHURE gerne gelesen hat, wird auch den neuen Schmöker von Iny Lorentz lieben." -- Alles Gute, 01.09.2013

Autoren-Porträt von Iny Lorentz

Hinter dem Namen Iny Lorentz verbirgt sich ein Münchner Autorenpaar, dessen erster historischer Roman die Leser auf Anhieb begeisterte. Seither folgt Bestseller auf Bestseller.

Lese-Probe

Flammen des Himmels von Iny Lorenz


Erster Teil
Der Bluthund des Papstes


1.

Eben war es noch angenehm warm gewesen, aber mit einem Mal streifte Frauke ein eisiger Windstoß, der ihr wie ein Bote nahenden Unheils erschien. Sie fröstelte mehr aus Angst denn vor Kälte. Sofort schalt sie sich. Sei doch keine Närrin! Alles ist gut, in dieser Stadt sind wir in Sicherheit. Noch während sie sich selbst Mut zusprach, bemerkte sie, wie die Menschen um sie herum sich dem Stadttor zuwandten und zu tuscheln begannen.

Als sie sich ebenfalls umdrehte, sah sie sechs bewaffnete Vorreiter durch den Torbogen kommen, die auf einen Herrn von Stand hindeuteten. Ihnen folgten zwei Mönche auf Mauleseln, deren Fell so braun war wie die Kutten ihrer Reiter. Es vergingen einige Augenblicke, bis der nächste Reiter erschien. Dieser war mit einem Mittelding zwischen Kutte und Talar bekleidet und trug eine Art Barett auf dem Kopf. Seine Kleidung einschließlich der Stiefel war so dunkel wie eine Neumondnacht unter einem bedeckten Himmel, und sein schwarzes Maultier wies nicht einen hellen Fleck auf.

Im ersten Augenblick wirkte der Mann auf Frauke wie einer der apokalyptischen Reiter, und sie hätte sich nicht gewundert, wenn auch sein Gesicht von der Farbe der Nacht gewesen wäre. Stattdessen war es so bleich, als meide der Mann die Strahlen der Sonne.

Frauke erstarrte bis ins Mark, obwohl sie nicht wusste, wer dieser Fremde sein mochte, der die Menschen am Straßenrand musterte, als wolle er sie mit seinen Blicken durchbohren. Seine Augen richteten sich für den Zeitraum einiger Herzschläge auf sie, anders als die übrigen Frauen und Mädchen blieb sie jedoch kerzengerade stehen und knickste nicht. Erst als seine kalte Miene deutlichen Unmut zeigte, beugte auch sie das Knie.

»Weißt du, wer das ist?«, fragte eine junge Frau den Jüngling neben ihr.

Frauke verzog das Gesicht, als sie die Stimme von Gerlind Sterken vernahm, der Tochter des zweiten Bürgermeisters. Diese hielt sich für das schönste Mädchen von Stillenbeck und musste doch immer wieder hören, dass Silke Hinrichs noch schöner sei als sie. Dabei war Schönheit das Letzte, was Silke sich wünschte. Ebenso wie Frauke hätte sich auch ihre Schwester liebend gerne mit einem schlichteren Aussehen begnügt, wenn sie dafür nicht mehr von Gerlind Sterkens Neid und Hass verfolgt worden wäre.

Trotz ihrer Abneigung trat Frauke einen Schritt auf die Bürgermeisterstochter zu, damit ihr die Antwort ihres Begleiters nicht entging. Dieser war, wie sie wusste, ein Bewerber um Gerlinds Hand, der auf die reiche Mitgift hoffte, welche Thaddäus Sterken seiner Tochter in die Ehe mitgeben konnte.

Der junge Mann lachte. »Das ist der höchst ehrwürdige Inquisitor Jacobus von Gerwardsborn, dessen Aufgabe es ist, die Ketzer im Reich aufzuspüren und sie ihrer gerechten Strafe zuzuführen.«

Das klang nicht danach, als würde er den schwarzgekleideten Kirchenmann ernst nehmen. Gerlind Sterken achtete jedoch nicht auf die ablehnende Miene ihres Begleiters, sondern streifte Frauke mit einem verächtlichen Blick und rief laut: »Dann soll er doch gleich mit der hier und ihrer Schwester anfangen. Die halten es doch mit diesem Wiedertäufergesindel! «

Zu Fraukes Entsetzen zügelte Gerwardsborn sein Maultier, drehte sich um und sah, wie Gerlind auf sie zeigte. Fast schien es ihr, als wolle er sie ansprechen, doch dann besann er sich anders und ritt weiter in die Richtung des Dominikanerklosters, in dem er wohl Quartier zu nehmen gedachte.

Nachdem sie den ersten Schrecken überwunden hatte, mahnte Frauke sich, in Zukunft besser achtzugeben. Bisher war es ihrer Familie gelungen, den Anschein aufrechtzuerhalten, der alten Kirche anzugehören, und sie hatten sich nur heimlich mit ihren Brüdern und Schwestern im Glauben versammelt. Dennoch schien etwas durchgesickert zu sein. Oder war Gerlinds Äußerung nur die gehässige Bemerkung eines neidischen Mädchens, mit der sie, ohne es zu wissen, der Wahrheit nahegekommen war?

Schatten fielen auf Frauke und machten sie darauf aufmerksam, dass dem Inquisitor weitere Reiter folgten. Es schienen Junker und reiche Bürgersöhne zu sein, die dem Kirchenmann das Geleit gaben. Die meisten sahen hochmütig über die versammelte Menge hinweg, nur ein junger Bursche mit fast weißblonden Haaren, der kaum älter sein konnte als sie selbst, musterte die Menschen am Wegesrand, als wolle er sie kennenlernen. Wegen seines hübschen, bartlosen Gesichts hatte Frauke ihn im ersten Augenblick für ein als Mann verkleidetes Mädchen gehalten, diesen Gedanken aber gleich wieder beiseitegeschoben. So etwas würde der Inquisitor niemals dulden. Mit einem Mal sah der junge Mann sie direkt an und lächelte freundlich. Den Ausdruck seiner Augen vermochte sie jedoch nicht zu deuten.

Nachdem die Reiter die Straße passiert hatten, durchfuhren drei hochbeladene Fuhrwerke mit Gepäck das Tor, und die Menge begann, sich zu verlaufen. Auch Frauke wandte sich um, um nach Hause zu gehen.

Doch Gerlind Sterken vertrat ihr den Weg. »Da Seine Exzellenz, der Inquisitor, hier erschienen ist, wird es bald ein Ende mit dir und deiner Schwester haben! Der hat schon ganz andere als euch auf den Scheiterhaufen gebracht.«

»Gerlind, bitte!«, flehte ihr Begleiter.

Die Bürgermeisterstochter ließ sich jedoch nicht bremsen und überschüttete Frauke mit Schmähungen, bis diese aufgewühlt davonlief.

Unterwegs sagte Frauke sich, dass es wohl das Beste wäre, wenn ihre Familie und die anderen Mitglieder ihrer kleinen Gemeinschaft Stillenbeck umgehend verließen und an einem anderen Ort Zuflucht suchten. Jacobus von Gerwardsborn war gewiss kein Mann, der einen anderen Glauben als den von Rom verkündeten dulden würde.

Als sie nach Hause kam, war die Mutter gerade dabei, das Abendessen aufzutischen.

»Du kommst spät«, tadelte diese ihre Jüngste.

»Es tut mir leid, Mama. Aber ich bin unterwegs aufgehalten worden. Ein Inquisitor ist in die Stadt gekommen. Er nennt sich Jacobus von Gerwardsborn und macht mir Angst.«

Inken Hinrichs winkte verächtlich ab. »Du brauchst dich nicht zu fürchten. Wir sind angesehene Bürger von Stillenbeck, und solange wir so tun, als folgten wir den Lehren der katholischen Kirche, kann uns nichts passieren.«

»Und doch müssen die Leute etwas gemerkt haben! Gerlind Sterken hat uns nämlich Wiedertäufergesindel genannt, und zwar so laut, dass der Inquisitor es gehört hat«, erklärte Frauke besorgt.

»Gerlind Sterken ist eine unangenehme Person und ärgert sich darüber, dass unsere Silke sie in den Schatten stellt. Dabei tut deine Schwester gar nichts dazu, während Gerlind sich von ihrem Vater alle möglichen Schönheitsmittel besorgen lässt. Doch aus einem Ackergaul kann man nun mal keine edle Stute machen. Das wird auch der Inquisitor rasch merken und nichts auf ihre Worte geben.«

Für Inken Hinrichs war die Sache damit erledigt, und sie befahl Frauke, den Eintopf zu rühren.

Die Angst saß dem Mädchen jedoch so in den Knochen, dass sie bei jedem Geräusch hochschreckte, das von draußen hereindrang. Selbst als der Vater, ihre beiden Brüder und ihre Schwester Silke hereinkamen, hatte sie sich noch nicht beruhigt.

»Herr Vater! Habt Ihr es gesehen? Ein Inquisitor ist in die Stadt gekommen«, sprach Frauke Hinner Hinrichs an.

»Und wennschon! Er wird nachzählen, ob wir auch brav zur Messe gehen, und damit hat es sich.«

»Aber als er an uns vorbeigeritten ist, hat Gerlind Sterken ganz laut gerufen, Silke und ich seien Wiedertäufer«, setzte Frauke hinzu.

Einen Augenblick wirkte Hinner Hinrichs unsicher, dann schüttelte er den Kopf. »Thaddäus Sterken wird seiner Tochter schon den Kopf zurechtsetzen und dem Inquisitor erklären, dass das nichts als dummes Gerede ist. Gerlind würde jedem Mädchen, das hübscher ist als sie selbst, alles Schlechte nachreden - und viel hübscher als sie ist unsere Silke allemal! «

Hinner Hinrichs betrachtete seine älteste Tochter mit einem Stolz, der so gar nicht zu der Demut passte, die sein Glaube ihm vorschrieb. Allerdings war Silke eine Schönheit, wie sie nur selten zu finden war. Obwohl sie schlicht gekleidet ging und selbst im Haus eine Haube trug, wirkte sie mit ihrem harmonischen Gesicht und den großen, himmelblauen Augen so lieblich wie ein Maientag.

»Nein«, fuhr Hinner Hinrichs fort, »gegen unsere Silke kommt Gerlind Sterken trotz allen Reichtums ihres Vaters nicht an.«

»Ich fürchte nicht den Reichtum ihres Vaters, sondern Gerlinds Lästerzunge«, wandte Frauke ein. »Wenn sie uns als Wiedertäufer bezichtigt, wird der Inquisitor uns befragen - und davor habe ich Angst.«

Frauke hatte nicht vergessen, dass sie ihr letztes Heim vor gut drei Jahren fluchtartig hatten verlassen müssen, um nicht als Ketzer verhaftet zu werden. Wieso konnten sich da ihr Vater und ihre Mutter so sicher sein, dass sie in dieser Stadt endlich von allen Verfolgungen verschont blieben?

Ihr ältester Bruder lachte über ihre Bedenken. »Vater hat recht, Frauke! Thaddäus Sterken wird seiner Tochter schon den Mund verbieten. Immerhin arbeiten Vater und ich für ihn. Bessere Gürtelschneider als uns findet er nicht.«

Frauke fand Haugs Worte allzu angeberisch. Zwar fertigten ihr Vater und er tatsächlich Gürtel für Sterken an. Doch sie konnte sich nicht vorstellen, dass der Kaufherr ihre Familie gegen seine Tochter oder gar den Inquisitor in Schutz nehmen würde. Da ihre Worte jedoch kein Gehör fanden, presste sie die Lippen zusammen und betete im Stillen, dass Gott und der Herr Jesus Christus im Himmel auch weiterhin ihre schützenden Hände über ihre Eltern, ihre Geschwister und sie selbst halten würden.


2.

Im Dominikanerkloster suchte Jacobus von Gerwardsborn als Erstes die Zimmerflucht auf, die der Prior ihm überlassen hatte. Neben einer Schlafkammer verfügte er über ein privates Speisezimmer sowie einen Raum mit Schreibpult, Tisch und sechs Stühlen, in dem er seinem Sekretär Briefe und Berichte diktieren und Gäste empfangen konnte.

Nun aber wollte er allein sein und hatte seine Begleiter hinausgeschickt. Er ließ sich auf einen bequemen Stuhl sinken und rieb sich die Schläfen. Nach dem langen Ritt litt er unter Kopfschmerzen, sagte sich aber, dass er dieser Schwäche nicht nachgeben durfte. Immerhin war er das Schwert Gottes auf Erden, die es von Ketzern zu reinigen galt.

Gelegentlich erschien ihm seine Aufgabe wie eine Herkulesarbeit. So viele Ketzer er auch entdeckte und auf den Scheiterhaufen schickte, es wuchsen ständig mehr nach, und zwar schneller als die Köpfe der Hydra.

»Ich wollte, die Ketzer hätten alle einen einzigen Leib, auf dass man diesen verbrennen und damit der Häresie ein für alle Mal ein Ende setzen könnte«, murmelte er vor sich hin.

Unwillkürlich wandten sich seine Gedanken dem jungen Mädchen zu, das von einer Bürgerstochter eine Wiedertäuferin genannt worden war. Hatte dieses unverschämte Ding ihm nicht den ihm zustehenden Knicks verweigert? Das war ein deutliches Zeichen, denn immerhin vertrat er an diesem Ort Seine Heiligkeit Papst Clemens VII. und dieser den heiligen Petrus, der von Jesus Christus selbst zu seinem Stellvertreter ernannt worden war. Wenn er in eine Stadt kam, war es daher fast so, als erschiene Christus selbst, und die Menschen hatten ihre Ehrfurcht vor ihm und Gott zu bezeugen.

Mit einem Mal sehnte sich Jacobus von Gerwardsborn nach Gesellschaft. Er griff nach einer kleinen silbernen Glocke und läutete heftig. Kurz darauf trat sein Sekretär, Magister Rübsam, ein. Ihm folgte Bruder Cosmas, einer der beiden Mönche, die ihn begleiteten. Zusammen mit seinem Foltermeister Dionys bildeten diese drei seine engere Gefolgschaft. Dazu kamen ein dienender Mönch und mehrere Knechte. Im Grunde hätte es gereicht, mit diesen Männern zu reisen. Da er aber als Vertreter des Oberhaupts der Christenheit auftreten musste, hatte er Magnus Gardner, den Abgesandten des neuen Fürstbischofs von Münster, sowie mehrere Herren mitgenommen, die ihm je nach Bedürfnis als Kuriere, Spione oder einfach nur als Gesprächspartner dienten.

Da der Inquisitor Lust auf ein Schachspiel hatte, befahl er Bruder Cosmas, die Figuren aufzustellen.

»Rufe den jungen Gardner! Er ist der Einzige, der richtig Schach spielen kann«, sagte er dann. »Ach ja! Wenn ein Vertreter der Stadt erschienen ist, kann er ebenfalls eintreten. Am Tor haben sich die Herren Bürgermeister und Stadträte sehr rar gemacht. Es sind wohl alles Anhänger dieses verfl uchten Luther!«

Der Tonfall des Inquisitors verhieß nichts Gutes für die saumseligen Räte und die beiden Bürgermeister von Stillenbeck, obwohl diese Männer lediglich zu spät von seiner Ankunft erfahren hatten.

Der Mönch verließ den Raum, und kurze Zeit später traten zwei Männer ein, ein großer, stattlich wirkender Edelmann um die fünfzig und jener Jüngling, der Frauke am Tor aufgefallen war. Der Ältere verbeugte sich vor dem Inquisitor, warf einen Blick auf das Schachbrett und legte die Hand auf die Schulter des Jungen.

»Wage ja nicht zu gewinnen, sonst wird die Laune Seiner Exzellenz noch übler, als sie bereits ist«, wisperte er dem Jungen ins Ohr.

»Ja, Herr Vater!« Lothar Gardner verbeugte sich nun ebenfalls vor dem Inquisitor und nahm auf dessen Anweisung auf dem Stuhl ihm gegenüber Platz.

»Wählst du Schwarz oder Weiß?«, fragte Jacobus von Gerwardsborn.

»Wenn es erlaubt ist, nehme ich die Weißen, Eure Exzellenz.«

Die Frage war rhetorisch, denn der Inquisitor spielte immer mit den schwarzen Figuren. Gerwardsborns Vorliebe für diese Farbe war extrem. So trug er auch hier im Zimmer dünne schwarze Handschuhe und statt des Baretts eine runde, schwarze Kappe. Selbst der Stein auf seinem Ring, in den ein kunstfertiger Steinschneider sein Siegel geschnitten hatte, war ein schwarzer Hämatit.

Lothar vermutete, dass Jacobus von Gerwardsborn wie ein Bote des Todes auftreten wollte - oder gar wie der Tod selbst. Zu diesem Erscheinungsbild passte sogar sein bleiches Gesicht. In gewissen Kreisen aber wurde er mit einem Beinamen belegt, der besser zu ihm passte. »Bluthund des Papstes« nannte man ihn. Rasch verscheuchte der junge Mann diese Gedanken und machte seinen ersten Zug.

Für einige Zeit wurde das Spiel zu einem Zweikampf zweier Geister, die beide erbittert um den Sieg rangen. Magnus Gardner, der den Spielern zusah, verfluchte seinen Sohn insgeheim. Auch wenn es unangenehm war, zu verlieren, musste Lothar doch wissen, wie weit er gehen durfte. Als er bereits glaubte, eingreifen zu müssen, machte der Junge den entscheidenden Fehler und war kurz darauf schachmatt.

»Du warst mir ein würdiger Gegner, Lothar. Beinahe dachte ich, du könntest mich besiegen«, lobte der Inquisitor seinen jungen Gegner.

Dieser verbeugte sich mit einer gezierten Geste. »Eure Exzellenz waren einfach zu gut für mich!«

In dem Augenblick klatschte Magnus Gardner seinem Sohn in Gedanken Beifall. Der Junge war nicht nur geschickt, sondern auch klug. Immerhin galt es, Jacobus von Gerwardsborn bei Laune zu halten, und das war eine Aufgabe, die er selbst seinem schlimmsten Feind nicht gewünscht hätte. Zwar konnte es dem Inquisitor gleichgültig sein, wie viele Ketzer er auf den Scheiterhaufen brachte oder bei geringeren Verfehlungen aus dem Land weisen ließ. Doch sein Herr, Fürstbischof Franz von Waldeck, verlor durch Gerwardsborns unheilvolles Wirken arbeitsame Untertanen und vor allem gute Steuerzahler. Den Inquisitor aufzuhalten wagte der Bischof jedoch nicht. Immerhin hatte Clemens VII. Jacobus von Gerwardsborn persönlich in dieses Land geschickt, um der lutherischen Ketzerei und der noch schlimmeren wiedertäuferischen Häresie ein Ende zu bereiten.

»Sind die beiden Bürgermeister bereits erschienen?«, fragte der Inquisitor ansatzlos.

»Wenn Eure Exzellenz erlauben, werde ich nachsehen!« Magnus Gardner verließ den Raum, als wäre er ein schlichter Lakai und nicht ein Mann, den Franz von Waldeck bevorzugt um Rat fragte. Draußen fand er lediglich einen Ratsherrn in einem pelzbesetzten Rock vor, der sich unwohl zu fühlen schien. Gardner kannte ihn von verschiedenen Aufenthalten des Mannes in Telgte und glaubte, ihm vertrauen zu können. »Gott zum Gruß, Herr Sterken. Ich freue mich, Euch zu sehen, bedaure aber, dass die Bürgermeister und die anderen Ratsherren nicht erschienen sind, um dem Inquisitor ihre Reverenz zu erweisen.«

Sein Gegenüber blickte ihn mit unglücklicher Miene an. »Ihr wisst es vielleicht noch nicht, aber ich bin für dieses Jahr zum zweiten Bürgermeister der Stadt gewählt worden. Jetzt bin ich besorgt, ausgerechnet Seine Exzellenz Jacobus von Gerwardsborn hier begrüßen zu müssen. Dieser Besuch kommt, um es offen zu sagen, etwas ungelegen. Wäre er uns rechtzeitig angekündigt worden, hätten wir Vorbereitungen treffen können.«

Sterken gelang es, vorwurfsvoll zu klingen. Dabei war ihm anzumerken, dass ihn die Angst in ihren Klauen hielt. Erst vor ein paar Tagen hatte der Rat der Stadt beschlossen, einen lutherischen Prediger an die Pfarrkirche zu berufen und den Katholiken nur noch die Kapelle des Dominikanerklosters zu überlassen. Nun befürchtete er, dass dieser Beschluss, so geheim er auch gefasst worden war, auf ihm unbekannte Weise seinen Weg bis zum Bischof und sogar bis zu diesem Inquisitor gefunden hatte.

Gardner war klar, dass Thaddäus Sterken sich Sorgen machte. Schließlich gab es in dieser Gegend genug Bürger, die den Papst in Rom einen guten Mann sein ließen und sich der Lehre Martin Luthers zugewandt hatten. Als Fürstbischof von Münster wäre es die Aufgabe seines Herrn gewesen, dies zu verhindern. Schon deshalb musste er dafür Sorge tragen, dass Anhänger der Reformation Gerwardsborn nicht unnötig herausforderten und diesem dadurch die Möglichkeit gaben, sie verhaften, verurteilen und verbrennen zu lassen.

»Mein guter Sterken«, antwortete er, »ich rate Euch dringend, Stillenbeck Seiner Exzellenz gegenüber als Hort der reinen Lehre auszugeben und jede lutherische Abweichung zu verneinen. So seid Ihr ihn am schnellsten wieder los. Vor allem aber sorgt dafür, dass der andere Bürgermeister und die Räte sich umgehend vollzählig hier einfinden und dem Inquisitor ihre Achtung und Ehrfurcht bekunden. Dies ist absolut notwendig, denn wenn er glaubt, man würde ihm diese verweigern, kann er sehr zornig werden. Ein päpstlicher Erlass und eine kaiserliche Bulle geben ihm das Recht, die Häresie in diesem Landstrich zu bekämpfen, und daher kann Seine Exzellenz Franz von Waldeck sich nicht offen gegen ihn stellen.«

Diese Warnung musste genügen, sagte Gardner sich. Entweder waren die hiesigen Ratsmitglieder klug genug, oder sie würden sich auf eine scharfe Untersuchung gefasst machen müssen - und die konnte schlimm ausgehen.

Dies sah Sterken ebenso und schickte den Knecht los, der ihn begleitet hatte, um die anderen Mitglieder des Rates herbeizurufen. Da sich mehr als drei Viertel bereits der lutherischen Lehre angeschlossen hatten, würde ihr Auftritt nicht ohne Heuchelei stattfinden können. Doch wenn sie nicht wollten, dass in dieser Stadt Scheiterhaufen entzündet wurden, mussten sie dem unerwünschten Gast ein glaubhaftes Schauspiel liefern. Sterken atmete noch einmal tief durch und folgte Gardner in das Zimmer des Inquisitors.

Als sie eintraten, hielt Jacobus von Gerwardsborn die schwarze Dame in der Hand und starrte sie unverwandt an. Die Figuren waren nach seinen eigenen Vorstellungen angefertigt worden, und so stellten Mönche die Bauern, Priester die Springer, Bischöfe die Türme sowie der Papst den König dar. Die Dame jedoch war eine verkleinerte Kopie der Madonna von Santa Maria Maggiore in Rom, jener Kirche, in der er einst zum Priester geweiht worden war.

Nun stellte er die kleine Madonna wieder auf das Spielbrett und wandte sich den beiden Herren zu. »Wer ist dieser Mann?«, fragte er unwirsch. »Eigentlich habe ich die Bürgermeister, den gesamten Rat und die Oberhäupter der Gilden erwartet.«

»Ich ... ich bin Thaddäus Sterken, zweiter Bürgermeister von Stillenbeck und Kaufherr dahier«, presste Sterken heraus.

»Wo ist der erste Bürgermeister, wo der Rat und die anderen Honoratioren? Oder haben diese sich, vom Gift der lutherischen Irrlehre befallen, bereits von dannen gemacht?« Gerwardsborns Stimme klang wie der Schlag einer Peitsche.

Thaddäus Sterken überlegte verzweifelt, wie er diesen zornigen Streiter des Papstes besänftigen konnte. »Nein, Eure Exzellenz, so ist es nicht. Nur waren wir nicht auf Euren Besuch vorbereitet und gingen unseren Geschäften nach. Es wird gewiss nicht lange dauern, bis die anderen Herren erscheinen.«

»Das will ich hoffen. Doch sagt, wie steht es mit der reinen Lehre in dieser Stadt? Ist sie von der lutherschen Ketzerei befallen? «

»Aber nein, Euer Exzellenz, wo denkt Ihr hin! Ich bin ein treuer Sohn der heiligen Kirche!« Und zwar der Lutherschen, setzte Sterken insgeheim hinzu.

»Und die anderen Herren?«, fragte Gerwardsborn anklagend. »Auch sie sind, wie ich bezeugen möchte, treue Söhne der Kirche.« Sterken klang nicht sehr überzeugend, denn in ihm nagte die Angst, eines der wenigen Ratsmitglieder, die noch katholisch geblieben waren, könnte den Inquisitor gerufen haben, um den Abfall der Stadt vom römischen Glauben zu verhindern.

Jacobus von Gerwardsborn wusste tatsächlich sehr wohl, was in den Städten des Hochstifts Münster vorging. Umso dringlicher erschien es ihm, durch sein Erscheinen und die Drohung mit dem Scheiterhaufen die Einwohner daran zu hindern, die reine Lehre zu missachten und Seelenvergiftern wie diesem Luther nachzulaufen. Gelegentlich ließ er sich auch auf einen Disput mit einem lutherischen Prediger ein, doch dies war eine einseitige Angelegenheit. Gewann er, musste der andere seinem angemaßten Priesteramt entsagen und als demütiger Diener in die katholische Kirche zurückkehren. Verlor er, so erklärte er den anderen zu einem Erzketzer und ließ ihn auf dem Scheiterhaufen enden. Von Nachsicht hielt Gerwardsborn wenig, und er war entschlossen, die Räte der Stadt und die aufmüpfigen Gilden in ihre Schranken zu weisen.

»Ich will Euch glauben, dass Ihr die alteingesessenen Familien kennt und Euch für sie verbürgen könnt. Doch wie steht es mit jenen, die in den letzten Jahren zugezogen sind? Ihr werdet mir eine Aufstellung all dieser Leute machen, auf dass ich sie prüfen kann.«

Sterken begriff, dass der Inquisitor ihn und die Bewohner von Stillenbeck mit dem Angebot lockte, sich zum alten Glauben zu bekennen und so ohne Strafe davonzukommen. Fremde jedoch, die sich in den letzten Jahren in der Stadt angesiedelt hatten, waren auf jeden Fall verdächtig. Dies war doppelt fatal, weil sein erkorener Schwiegersohn aus einer Stadt stammte, die sich zur Gänze von der römischen Kirche gelöst und zum Luthertum bekannt hatte.

»Verzeiht, Eure Exzellenz, doch ich kann mich auch für die meisten Neuankömmlinge verbürgen. Mein zukünftiger Eidam zum Beispiel musste sogar aus seiner Heimatstadt fl iehen, weil er nicht der Häresie dieses abgefallenen sächsischen Mönches verfallen wollte.«

Das war ebenfalls unwahr, denn der junge Mann dachte gar nicht daran, römisch-katholisch zu werden. Etwas Besseres war Sterken auf die Schnelle jedoch nicht eingefallen.

»Und doch muss es in dieser Stadt Ketzer geben!« Der Inquisitor ließ nicht locker.

»Ich wüsste niemanden, Euer Exzellenz«, presste Sterken hervor.

Gerwardsborn sah ihn mit einem überlegenen Lächeln an. »Es ist immer gut, mit einem Ohr auf die Stimme des Volkes zu hören. Als ich in die Stadt einritt, bezeichnete eine junge Frau ein anderes Mädchen als Ketzerin, und zwar als eine der schlimmsten von allen. Ich meine damit die, die sich allen Sakramenten der heiligen Kirche verweigern und den Kindlein, die im Namen unseres Herrn Jesus Christus in die Gemeinschaft der Gläubigen aufgenommen worden sind, absprechen, dazuzugehören. Diese Elenden fordern, dass nur Erwachsene das Recht hätten, der Herde Gottes beizutreten!«

»Ihr meint die Wiedertäufer, Eure Exzellenz? Bis jetzt habe ich nichts davon gehört, dass sich solch widerwärtiges Gesindel unter uns befinden soll«, rief Sterken aus.

»Und doch muss es so sein! Oder glaubt Ihr, die junge Frau hätte sich diese Worte aus den Fingern gesogen?« Der Inquisitor spielte mit Sterken wie eine Katze mit der Maus. Da er zur Abschreckung der Mehrheit ein paar Ketzer benötigte, die er zum Feuertod verurteilen konnte, musste er die Spitzen der Stadt dazu zwingen, ihm die passenden Opfer auszuliefern.

Sterken hatte von seiner Tochter und deren Bräutigam von der Ankunft des Inquisitors erfahren, und ihm war auch zu Ohren gekommen, dass Gerlind gegen Frauke gehetzt hatte. Für einen Augenblick ärgerte er sich darüber, denn Hinner Hinrichs war ein guter Handwerker, der für ihn die besten Gürtel anfertigte. Allerdings fragte er sich, ob nicht doch etwas an dem Gerücht dran war, Hinrichs' Sippe könne zu den Wiedertäufern gehören. Immerhin war der Mann aus Straßburg zugezogen, und das war bis vor wenigen Jahren ein übler Hort der Ketzerei gewesen.

»Eure Exzellenz, es mag vielleicht den einen oder anderen Ketzer in der Stadt geben. Auch vermag ich nicht in die Herzen der Menschen zu blicken, und wenn sie ihre widerwärtigen Rituale im Geheimen durchführen, bleibt dies unseren Augen verborgen. Aber ich bezweifle, dass Hinner Hinrichs ein Ketzer ist. Immerhin besucht er jeden Sonntag zusammen mit seinem Weib, seinen Söhnen und seinen Töchtern die heilige Messe.«

»Dies kann auch aus Hohn und Heuchelei geschehen! Also Hinrichs heißt der Mann. Ich werde ihn mir ansehen.«

Erst die Antwort des Inquisitors brachte Sterken zu Bewusstsein, dass er eben die ersten Bewohner seiner Stadt denunziert hatte. Da er jedoch nicht wusste, wie er Hinrichs nun noch helfen konnte, war er froh, als der andere Bürgermeister und fast alle Ratsmitglieder erschienen, um Gerwardsborn ihre Aufwartung zu machen. Die meisten von ihnen mussten Ehrfurcht heucheln, gaben sich dabei aber alle Mühe, um nicht selbst in den Verdacht der Ketzerei zu geraten. Dabei führte der Inquisitor nur ein paar bewaffnete Knechte mit sich sowie zwanzig Leute im Gefolge, von denen nicht jeder eine Waffe führen konnte. Es wäre den Stadtknechten und dem Bürgerfähnlein ein Leichtes gewesen, den Inquisitor zum Stadttor hinauszutreiben. Doch offener Aufruhr hätte den Bann des Kaisers nach sich gezogen und die Feindschaft der katholischen Stände im Reich. Das konnte sich ihre kleine Stadt nicht leisten.


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