Die Zahl, die aus der Kälte kam Wenn Mathematik zum Abenteuer wird.

Die Zahl, die aus der Kälte kam Wenn Mathematik zum Abenteuer wird.
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Produktbeschreibung

Wer Zahlen beherrscht, der hat Macht. Schon Archimedes besiegte die römische Flotte mit Mathematik, heute schlagen Rechenmaschinen den Menschen im Schach und beim Jeopardy. Rudolf Taschner nimmt uns mit auf einen Streifzug durch die Kulturgeschichte der Zahlen. Er erzählt, wie Blaise Pascal schon im 17. Jahrhundert den Computer erfand, wie Isaac Newton mit der Unendlichkeit rechnen lernte, warum Kurt Gödel zugleich an die Allmacht der Zahlen und an Gespenster glaubte - und sich der britische Geheimdienst an der Zahl 007 die Zähne ausbiss. Taschner lüftet dabei die Geheimnisse der Mathematik so spannend, leichtfüßig und unterhaltsam, dass auch Nichteingeweihte ihrem Zauber erliegen müssen.
 

Klappentext zu „Die Zahl, die aus der Kälte kam“

Wer Zahlen beherrscht, der hat Macht. Schon Archimedes besiegte die römische Flotte mit Mathematik, heute schlagen Rechenmaschinen den Menschen im Schach und beim Jeopardy. Rudolf Taschner nimmt uns mit auf einen Streifzug durch die Kulturgeschichte der Zahlen. Er erzählt, wie Blaise Pascal schon im 17. Jahrhundert den Computer erfand, wie Isaac Newton mit der Unendlichkeit rechnen lernte, warum Kurt Gödel zugleich an die Allmacht der Zahlen und an Gespenster glaubte und sich der britische Geheimdienst an der Zahl 007 die Zähne ausbiss. Taschner lüftet dabei die Geheimnisse der Mathematik so spannend, leichtfüßig und unterhaltsam, dass auch Nichteingeweihte ihrem Zauber erliegen müssen.

Bibliografische Angaben

2013, 243 Seiten, Maße: 14,5 x 21,8 cm, Geb. mit Su., Deutsch
Verlag: HANSER
ISBN-10: 3446436839
ISBN-13: 9783446436831

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Rezension

"Rudolf Taschner erklärt uns nicht bloß Geheimnisse der Mathematik, die eben nicht bloß eintöniges Rechnen ist, sondern ihre eigenen Wunder und großen Überraschungen birgt; nein, er zeigt uns, wie ein wirklicher Mathematiker denkt, er setzt uns für einen Moment in Stand, dieses Denken nachzuvollziehen und zu begreifen, dass man Zahlen auch sinnlich und unmittelbar auffassen kann." (Daniel Kehlmann)

"Sein Buch liest sich wie ein Thriller." (Der Spiegel, 29.07.2013)

"Der Leser merkt, mit wie viel Ausdauer, Verve und Leidenschaft sich der Österreicher der Mathematik und den Zahlen widmet." (Marco Krefting, dpa, 29.07.2013)

"Sein Bemühen ist enorm, mit Zahlen-Magie anzustecken." (Peter Pisa, Kurier, 02.08.2013)

"Ein spritziges, laientaugliches Kompendium." (Format, 02.08.2013)

"Mit dem Titel spielt der Mathematiker [...] auf die weit verbreitete Wahrnehmung an, dass Zahlen kalt und gefühllos seien. Auf 244 unterhaltsamen Seiten widerlegt er das mit seinem Erzähltalent und enzyklopädischen Wissen." (Martin Kugler, Die Presse am Sonntag, 04.08.2013)

 

Autoren-Porträt

Univ.-Prof. Dr. Rudolf Taschner, geboren 1953 in Ternitz, studierte an der Universität Wien Mathematik und Physik. 1977 begann er seine Arbeit an der Technischen Universität Wien, an der er nach einem Zwischenaufenthalt in Stanford bis heute als Professor tätig ist. Rudolf Taschner gründete und betreibt zusammen mit seiner Frau und Kollegen der TU Wien "math.space", einen Veranstaltungsort im Wiener MuseumsQuartier, der Mathematik als kulturelle Errungenschaft präsentiert und sowohl in Österreich als auch international größte Anerkennung als höchst innovative Einrichtung gefunden hat. 2004 wurde Rudolf Taschner zum "Wissenschaftler des Jahres" gewählt. Sein Bestseller "Zahl Zeit Zufall. Alles Erfindung" erhielt zahlreiche Auszeichnungen, sein im Herbst 2009 erschienenes Werk "Rechnen mit Gott und der Welt" wurde zum Buchliebling 2010 gewählt. 2011 erhielt er den Preis der Stadt Wien für Volksbildung.

 

Lese-Probe

Die Zahl, die aus der Kälte kam von Rudolf Taschner

Vorwort

Nichts ist kälter als die Zahl. Wobei „kalt“ im Sinne von unpersönlich, gefühllos, unerbittlich verstanden wird. Und in der Tat: Wenn jemand im hitzigen Disput „Zahlen auf den Tisch legt“, verstummen die Gegner. An den Zahlen gibt es nichts zu rütteln. Sie stehen für Endgültiges. Das mit Zahlen Versiegelte ist unumstößlich und unwiderruflich. Während Heraklit den Wandel der Welt im Feuer, in der wärmenden Flamme verwirklicht sah, tritt ihm kühl Parmenides von Elea entgegen, der mit glasklarer Logik verkündet: Es kann kein Entstehen und kein Vergehen geben: Wie kann etwas aus nichts hervorgehen? Wie kann etwas, das existiert, plötzlich nicht mehr sein? Der Wandel, so Parmenides, ist nur Illusion. Seine Botschaft verheißt Bestand und damit Sicherheit. Null bleibt ewig null, eins bleibt ewig eins, und beide bleiben ewig voneinander verschieden. Nicht umsonst fordert der durch die eleatische Schule geprägte Platon von allen, die seine Akademie betreten, von allen, die er zu den künftigen Herrschern der Welt, zu den Philosophenkönigen heranzuziehen verspricht, mathematisches Wissen. Wer die entscheidenden Zahlen kennt, gar mit ihnen zu manipulieren versteht, hat das letzte, das alles bestimmende Wort. Jenes Wort, das in den Augen aller anderen „zählt“. Es ist das Wort des Mächtigen. Und es ist ein kaltes Wort. Doch Parmenides irrt. Davon erzählt dieses Buch. Aus einer Legion von Geschichten über die vermeintliche Macht der Zahlen sind willkürlich einige wenige herausgegriffen. Nicht auf die historische Überprüfbarkeit in allen Einzelheiten – se non è vero, è ben trovato – wurde Wert gelegt, sondern auf die Botschaft, die mit den Erzählungen verbunden ist: Zahlen sind nicht einfach da. Zahlen sind erfunden worden, um Ordnung und Übersicht schaffen zu können. Zahlen haben uns zu dienen, nicht zu beherrschen. Zahlen sind nicht das Fundament des Daseins, denn dieses ist sicher nicht „kalt“. Aber verbindliche Markierungen zu seinem besseren Verständnis sind Zahlen sehr wohl. Geschichten über Zahlen zu erzählen, Mathematik als eminente kulturelle Errungenschaft einer breiten Öffentlichkeit vorzustellen, ist seit mehr als zehn Jahren das Ziel von „math.space“, angesiedelt im Wiener Museumsquartier, unterstützt von den österreichischen Ministerien für Unterricht, Wissenschaft, Technologie und Finanzen und organisiert von meiner Frau Bianca, in dem in mehreren hundert Veranstaltungen pro Jahr die vielseitigsten Bezüge der mathematischen Zahlenwelt zur Wirklichkeit vor Augen geführt werden. Manches, wenn auch nicht alles von dem, was in diesem Buch berichtet wird, ist im „math.space“ angedeutet, teilweise nur skizziert worden. Schon allein darum, aber auch weil sie mir in allen Phasen meines Lebens unermüdlich und verlässlich zur Seite steht, will ich meiner Frau an dieser Stelle von ganzem Herzen danken. Unsere Tochter Laura lehrte mich durch ihre Fragen, dass jede tiefe Erkenntnis eine zwingende und zugleich einleuchtende Erklärung hat, und unser Sohn Alexander hat mein Manuskript genau gelesen, mich auf peinliche Fehler aufmerksam gemacht und mir mit Zuspruch, aber auch mit Kritik sehr geholfen. Gedankt sei auch dem Verlag Hanser, ein besonderes merci cordialement Herrn Christian Koth, für das uneingeschränkte Vertrauen in mich als Autor, für die wunderbare Zusammenarbeit, für die schöne Ausstattung des Buches, das, wie ich hoffe, allen Leserinnen und Leser die Scheu vor den kalten Zahlen nimmt. Denn die Geschichten, die um sie herum gesponnen werden, lassen ihre Frostigkeit vergessen.

Denken mit Zahlen

Ken Jennings’ und Brad Rutters Debakel
Die beiden Amerikaner Ken Jennings und Brad Rutter gelten als die besten Quizspieler, die je in amerikanischen Fernsehshows aufgetreten sind. 2004 siegte Ken Jennings in der höchst populären Quizsendung Jeopardy unglaubliche vierundsiebzigmal in Folge. Dann aber verlor er gegen Brad Rutter, der dadurch einen höheren Jeopardy-Gesamtgewinn als Jennings verbuchen konnte. Bei der Quizshow Jeopardy können Kandidaten nur mit umfassendem Wissen und schneller Reaktionsfähigkeit gewinnen, vor allem aber müssen sie phantasievoll Begriffe kombinieren können. Die Aufgaben bei Jeopardy prüfen nicht pure Sachkenntnis, sie sind pfiffig und ausgefuchst. Nur Gewiefte finden sofort die Antworten auf Fragen wie zum Beispiel diese: „Was ist das: Unsere höfliche Anerkennung der Ähnlichkeit einer anderen Person mit uns selber?“ „Bewunderung“ wird als Lösungswort erwartet. In drei vom 14. bis zum 16. Februar 2011 ausgestrahlten Folgen von Jeopardy trat ein geheimnisvoller Watson gegen die Jeopardy-Matadore Ken Jennings und Brad Rutter in den Ring. Watson gewann das Spiel haushoch mit einem Endstand von 77 147 Punkten gegenüber den 24 000 Punkten, die Jennings einheimste, und den 21 600 Punkten, die Rutter ergatterte. Das Preisgeld des Hauptgewinns von einer Million Dollar stellte Watson gemeinnützigen Zwecken zur Verfügung. Jennings und Rutter kündigten daraufhin an, jeweils die Hälfte ihrer Preise von 300 000 bzw. 200 000 Dollar zu spenden. Wer ist dieser menschenfreundliche Meisterdenker Watson, der den beiden scharfsinnigsten Quizspielern Amerikas eine derart klare Niederlage bereitete? Man bekam ihn bei der Ausstrahlung der Sendung nicht zu Gesicht. Den Platz zwischen Jennings und Rutter nahm nur ein blaues kugeliges Phantom ein. Denn Watson war in einem Nebenraum versteckt. Er wäre für den Kandidatensessel viel zu groß gewesen. Watson ist nämlich kein Mensch, sondern eine Maschine. Eine Zahlenmaschine. Es mag sein, dass das Wort „Zahlenmaschine“ ungewohnt klingt. Es ist jedoch treffender als das gebräuchliche Wort „Computer“ oder seine deutsche Übersetzung „Rechenmaschine“ (das lateinische computare bedeutet „rechnen“). Die Maschine Watson beansprucht hingegen, viel mehr als bloß rechnen zu können. Sie gaukelt vor, denken zu können. Was Watsons „Gehirnwindungen“, die von IBM zusammengesetzten Bausteine des „Denkens“, in Wahrheit tun, ist Zahlen zu manipulieren. Nichts anderes. Im Französischen ist das Wort „Computer“ unbekannt, obwohl „computer“ als Wort im Altfranzösischen existiert. Man spricht in den französischsprachigen Ländern von einem „ordinateur“. Schon in den Wörterbüchern des 19. Jahrhunderts taucht dieser Begriff zur Bezeichnung desjenigen auf, der für das „Mettre en ordre“, für das „Anordnen“ zuständig ist. Eigentlich keine schlechte Bezeichnung. Wenn man nun bedenkt, dass alles Auflisten und Katalogisieren im Grunde darin besteht, den Dingen Zahlen zuzuweisen, mit denen sie sortiert und eingestuft werden, dürfen wir den „ordinateur“, da er ja eine Maschine bezeichnet, getrost mit „Zahlenmaschine“ ins Deutsche übertragen. Wie immer es sei: Die Zahlenmaschine Watson überflügelte mit dem von ihr vorgespielten Wissen, mit ihrer Schnelligkeit, mit ihrer scheinbaren intellektuellen Beweglichkeit die spitzfindigsten Menschen. Ein Triumph der Vertreter der „künstlichen Intelligenz“: Pioniere der Informationstheorie wie John McCarthy, Marvin Minsky, Claude Shannon, Allen Newell und Herbert Simon formulierten erstmals 1956 auf einer wegweisenden Konferenz im Dartmouth College die These, dass Denken nichts anderes als Verarbeitung von Information, dass Verarbeitung von Information nichts anderes als Manipulation von Symbolen, dass Manipulation von Symbolen nichts anderes als nachvollziehbarer Umgang mit Zahlen und wenn man so will „Rechnen“ im allgemeinsten Sinn des Wortes sei. Beim Denken komme es auf ein menschliches Wesen nicht an: „Intelligence is mind implemented by any patternable kind of matter“, behaupteten sie. Sinngemäß übertragen: Jede formbare Materie ist als Träger von Denkvorgängen geeignet. Am besten jene Art von Materie, mit der man fast mühelos Bauelemente für zuverlässig funktionierende Strukturen beliebig hoher Komplexität formen kann: elektrische Bauteile wie Widerstände, Kondensatoren, Spulen, Dioden, Transistoren. Der Sozialwissenschaftler der Gruppe, Herbert Simon, sagte schon 1957 voraus, dass innerhalb der folgenden zehn Jahre ein Computer Schachweltmeister werden und einen wichtigen mathematischen Satz entdecken und beweisen würde. Er hatte sich dabei etwas verschätzt, aber völlig daneben lag er mit seiner Prognose nicht. 1997 gelang es dem von IBM entwickelten System Deep Blue, den Schach-Weltmeister Garri Kasparov in sechs Partien zu schlagen. Weitaus gewagter waren die Prophezeiungen Marvin Minskys: 1970 behauptete er, dass es in drei bis acht Jahren – jedenfalls hierin irrte er – Maschinen mit der durchschnittlichen Intelligenz eines Menschen geben werde, die Shakespeare lesen und Autos warten würden. Und noch abenteuerlicher war die grenzenlose Erwartungshaltung des Roboterspezialisten Hans Moravec von der Carnegie Mellon University: Mit Marvin Minsky teilte er die Überzeugung, dass mit der „künstlichen Intelligenz“ der ultimative Traum der Menschheit wahr werden würde, die Überwindung des Todes: Im Buch „Mind Children. Der Wettlauf zwischen menschlicher und künstlicher Intelligenz“ entwarf er ein Szenario der Evolution des „postbiologischen“ Lebens: Ein Roboter überträgt das im menschlichen Gehirn gespeicherte Wissen so in eine Zahlenmaschine, dass die Biomasse des Gehirns überflüssig wird und ein posthumanes Zeitalter beginnen kann, in dem das gespeicherte Wissen beliebig lange zugreifbar bleibt. Die Zahlenmaschine Watson schien bei Jeopardy zu beweisen, dass uns nur mehr wenige kurze Schritte bis hin zur Verwirklichung der Utopien – oder sollte man eher von Horrorszenarien sprechen? – von Minsky und Moravec trennen. Jedenfalls erlitten Jennings und Rutter, zwei Menschen aus Fleisch und Blut, im intellektuellen Wettstreit mit Watson ein Debakel. Doch in Wahrheit war Watsons fulminanter Auftritt Blendwerk und Gaukelspiel. Niemand anderer als Blaise Pascal, der Konstrukteur der ersten funktionierenden Rechenmaschine, hätte dies besser durchschaut. Mit ihm wollen wir die Geschichte beginnen.

Die „Pascaline“, zur Unzeit konstruiert
Es waren die elenden Beschwernisse des elementaren Rechnens, bei denen lange Kolonnen von Zahlen zu addieren sind, die Blaise Pascal zu einer brillanten Erfindung veranlassten, deren gesellschaftliche Sprengkraft allerdings weder von seinen Zeitgenossen noch von deren Kindern oder Kindeskindern erkannt wurde. Erst 300 Jahre später leitete sie ein neues Zeitalter der Menschheit ein. Blaise Pascals Vater Étienne war ein angesehener hoher Finanzbeamter im von Kardinal Richelieu, Ludwig XIII. und danach dem noch blutjungen Ludwig XIV. regierten Frankreich des 17. Jahrhunderts. Einem Land, in dem Bauern, Handwerker und Gewerbetreibende schuften mussten, damit es den wohlhabenden Bürgern, dem Klerus und der adeligen Gesellschaft an nichts fehlte, die Reichen in Saus und Braus ihre Tage und Nächte mit süßem Nichtstun verbringen konnten. Doch der Staat, der in letzter Instanz der König selbst war, brauchte Geld. Wo er nur konnte, presste er es der Bevölkerung ab. Nur der Klerus und der Adel waren von der Steuerlast befreit. Étienne Pascal war bestrebt, das Geld von den Steuerpflichtigen möglichst gerecht eintreiben zu lassen. Er bemühte sich, die von den ihm untergebenen Beamten erhobenen Summen auf den Sol genau zu prüfen. Und dafür waren schier unzählige nervtötende Additionen und Subtraktionen vonnöten. Étienne Pascals Sohn Blaise galt bereits in jungen Jahren als mathematisches Wunderkind. Der gebildete Vater lehrte seinen Sohn im Privatunterricht alle Sprachen, das gesamte Wissen seiner Zeit. Wie später Mozart, den ebenfalls sein Vater unterrichtete, hatte Pascal das Glück, nie eine Schule besuchen zu müssen. Allerdings verschob der gewissenhafte Vater den Mathematikunterricht für den kleinen Buben auf später, wenn dieser der Ansicht des Vaters nach dafür reif genug sei. Mit dem Erfolg, dass sich das geniale Kind die Mathematik selbst beibrachte. Schon mit vierzehn Jahren, so berichtet seine ebenso begabte ältere Schwester Jacqueline, habe er sich alle Lehrsätze des Geometriebuches von Euklid erarbeitet. Ja, er gewann Erkenntnisse, die völlig neu und unerhört beeindruckend waren und noch heute nach ihm benannt sind. Blaise Pascal, der seit frühester Jugend unter ständig wiederkehrenden peinigenden Kopfschmerzen litt, behauptete einmal, dass einzig die Beschäftigung mit Mathematik ihn von den Qualen erlöse. Allein diese Bemerkung zeichnet ihn als besonderen Menschen aus, denn für Normalsterbliche hat die Mathematik den üblen Ruf, gerade das Gegenteil zu bewirken. Eine Nachrede, die – wie zumindest hoffentlich die Leserinnen und Leser dieses Buches bestätigen werden – zu Unrecht Verbreitung findet. Ödes Rechnen hingegen kann bei niemandem, nicht einmal bei Blaise Pascal, von Schmerzen erlösen, gar Entzücken hervorrufen. Es ist einfach nur lästig. Diese Last, die Pascals Vater tagein, tagaus tragen musste, abzuschütteln und einer Maschine zu übertragen, war das Ziel seines Sohnes. Als dieser neunzehn Jahre alt war, hatte er es ver wirklicht: Er hatte die erste Rechenmaschine der Welt entworfen und hergestellt. Er taufte sie „Pascaline“. Die Pascaline war kein Rechengerät. Derer gab es schon seit der Antike viele. Der berühmte Abakus – das Wort stammt vom griechischen ábakos, übersetzt: die Tafel, das Brett – ist wohl das bekannteste unter ihnen. Er besteht aus einem Rahmen mit Kugeln, von den Römern Calculi genannt – denn calculus ist der kleine Stein –, die auf Stäben aufgefädelt sind beziehungsweise in Nuten, Rillen oder Schlitzen geführt werden. Ein anderes Rechengerät ist der sogenannte Rechenschieber, ein aus verschiebbaren und eigenartig skalierten Linealen bestehendes Rechenhilfsmittel, mit dem man nach eingehender Schulung sogenannte höhere Rechenoperationen wie Multiplikationen, Divisionen, das Ermitteln von Potenzen, Wurzeln und anderes mehr durchführen kann. Schließlich seien die Neperschen Stäbchen erwähnt, benannt nach John Napier, die auf eine sehr raffinierte Weise für Multiplikationen und Divisionen dienlich sind. Doch all dies sind Geräte und keine Maschinen. Bei einem Gerät muss die kluge Handhabung von Menschen erfolgen, die für das Gerät geschult wurden. Bei einer Maschine ist eine Schulung des Bedienungspersonals nicht mehr erforderlich: Sie rechnet scheinbar „von selbst“, buchstäblich „automatisch“ – wie es das griechische Wort „autómata“ nahelegt, das für Dinge steht, die sich von selbst bewegen, wie in der Ilias die sich selbsttätig öffnenden Türen des Olymp. Tatsächlich ist die Pascaline ein Rechenautomat. Wer sie sieht, nimmt ein ziegelsteingroßes Messinggehäuse wahr, auf dessen Deckfläche sich oben fünf (bei späteren Versionen der Pascaline sogar mehr als fünf ) Sehschlitze befinden, die den Blick auf die Ziffern einer fünfstelligen Zahl freigeben.22 Unter jedem Schlitz befindet sich auf der Deckfläche der Pascaline ein kleines Rad mit zehn Speichen. Um das Rad sind auf der Deckfläche die Ziffern Null bis Neun so eingraviert, dass die Speichen des Rades immer in die Lücken zwischen zwei aufeinanderfolgenden Ziffern weisen. Das Rad kann mit einem Stift, der in einen der Zwischenräume gesteckt wird, im Uhrzeigersinn bewegt werden. Eine kleine an der Deckfläche angebrachte Haltevorrichtung bewirkt, dass der Stift das Rad wie bei einer Wählscheibe der uralten Telefone nur bis zum Anschlag drehen kann. Zeigt die Pascaline auf den Schlitzen die Zahl 00000 an, ist sie im Ausgangszustand. Nun kann man mit ihr eine Addition, zum Beispiel die Rechnung 16 + 45, durchführen. Zuerst gibt man die Zahl 16 ein: Der Stift wird im vorletzten Rad von links in den Zwischenraum der Ziffer 1 gesteckt und bis zum Anschlag gedreht: Es zeigt sich die Zahl 00010. Dann wird der Stift im letzten Rad von links in den Zwischenraum der Ziffer 6 gesteckt und bis zum Anschlag gedreht: Es zeigt sich die Zahl 00016. Sodann gibt man die Zahl 45 ein: Der Stift wird im vorletzten Rad von links in den Zwischenraum der Ziffer 4 gesteckt und bis zum Anschlag gedreht: Jetzt zeigt sich die Zahl 00056. Schließlich wird der Stift im letzten Rad von links in den Zwischenraum der Ziffer 5 gesteckt und bis zum Anschlag gedreht: Verfolgt man dabei die Bewegungen der Ziffern in den Schlitzen, erkennt man, dass bei dieser Drehung nacheinander die Zahlen 00056, 00057, 00058, 00059, dann, wie von Zauberhand erzeugt, 00060 und schließlich, beim Erreichen des Anschlags, 00061 aufscheinen. Die Mechanik im Inneren der Pascaline, welche die Bewegung des Rades in eine entsprechende Drehung der Walze übersetzt, ist leicht nachzuvollziehen. Auf der Walze sind die Ziffern 0, 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9 eingetragen. Die jeweils oberste Ziffer unterhalb des geöffneten Sehschlitzes kann durch diesen gesehen werden. Die Drehung des Rades, auf die Drehung der Walze übertragen, führt zum Wandel der durch den Schlitz sichtbaren Ziffer. So weit, so einfach. Was Pascal aber gelang, war der sogenannte mechanische Übertrag: Mit einem raffinierten Hebelmechanismus wird, wenn bei einem Rad der Übergang von der Ziffer 9 zur Ziffer 0 erfolgt, gleichzeitig beim linken Nachbarn dieses Rades eine Drehung der Walze um eine Ziffer weiter bewerkstelligt. Dass dies wirklich funktioniert, dass bei der mechanischen Addition von 1 der Übertrag von 00009 zu 00010, auch der Übertrag von 00099 zu 00100, auch der Übertrag von 00999 zu 01000, auch der Übertrag von 09999 zu 10000 und schließlich der Übertrag von 99999 zu 00000 gelingt – mangels eines sechsten Rades wird Einhunderttausend nur mit den letzten fünf Nullen angezeigt –, ist der Clou bei Pascals Erfindung.23 Zwei Hemmnisse sind dafür maßgeblich, dass Pascal mit seiner Erfindung kein spektakulärer wirtschaftlicher Erfolg beschieden war. Das erste und zugleich wichtigere Hemmnis betrifft die gesellschaftliche Situation zur Zeit Pascals. Seine Maschine war einfach zu teuer. Rechenknechte, die für lächerlich wenig Bezahlung die gleichen Dienste leisteten, gab es genug. Erst als die menschliche Arbeitskraft gerecht bezahlt wurde, rechnete sich der technische Fortschritt. Darum wurde nicht Pascal mit seiner Maschine zum reichen Unternehmer, sondern erst Jahrhunderte später Thomas J. Watson, der Gründer von IBM, nach dem die Zahlenmaschine benannt ist, die in Jeopardy den glänzenden Sieg davontrug. Das zweite, zwar auch schwerwiegende, aber vielleicht eher behebbare Hemmnis betrifft die Anfälligkeit der Pascaline gegenüber Fehlern: Nicht immer funktionierte der Mechanismus einwandfrei. Bei wichtigen Rechnungen waren Kontrollrechnungen erforderlich – all das kostete Zeit. Der Vater war im händischen Rechnen so geübt, dass die Eingabeprozedur in Pascals Maschine weitaus länger dauerte als sein Schreiben mit Bleistift und Papier. Doch der Anfang war getan. Schon zwanzig Jahre vor der Erfindung und Konstruktion der Pascaline hatte der deutsche Astronom Wilhelm Schickard eine ganz ähnliche Idee eines Rechenautomaten skizziert. Von einer Verwirklichung seiner nur mit groben Skizzen umrissenen Maschine sprach man bloß gerüchteweise: Ein angeblich für Johannes Kepler gefertigtes Modell soll einem Brand zum Opfer gefallen sein, nur die ein wenig hilflos wirkenden Zeichnungen sind erhalten geblieben. Selbst wenn Schickard das Räderwerk hergestellt hätte, wäre es bei einem Übertrag zum Beispiel von 09999 zu 10000 wegen der mechanischen Unzulänglichkeiten zerbrochen. Ohne Zweifel darf man Blaise Pascal die Ehre zusprechen, als Erster die Idee der Rechenmaschine nicht nur genial und gewissenhaft entworfen, sondern solche Automaten bis hin zur Serienreife produziert zu haben. Noch aber war es eine Rechenmaschine, der Weg zur Zahlenmaschine wurde erst Generationen nach Pascal beschritten.

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