Der Geschmack von Apfelkernen Roman

Der Geschmack von Apfelkernen  Roman
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Produktbeschreibung


Empfehlung der verkauf38.de-Redaktion: Der Geschmack von Apfelkernen


Für den großen Martin Walser war Der Geschmack von Apfelkernen von Katharina Hagena „ein Genuss“ und der „Stern“ lobte „eine einfühlsame Familiengeschichte ohne Klischees und voller Gegenwart“. Hagenas fulminantes Romandebüt über die Geschichte von Frauen über drei Generationen hinweg, bekommt jetzt noch einen weiteren Ritterschlag: Der Geschmack von Apfelkernen wurde von Vivian Naefe fürs Kino verfilmt; in den Hauptrollen spielen u.a. Hannah Herzsprung, Marie Bäumer und Meret Becker.

Viel Lebensfreude und ein Unglück


Berthas erlösender Tod lässt ihre drei Töchter und die Enkelkinder in ihre Heimatstadt Bootshaven zurückkehren. Insbesondere bei der 28-jährigen Bibliothekarin Iris werden viele Erinnerungen an ihre Kindheit wach. Da sie auch Berthas Haus erbt, durchstreift sie die Zimmer und den Garten. Der Duft von Äpfeln ist immer in ihrer Nase, als sie ans Verstecken spielen mit ihrer Cousine Rosmarie zurückdenkt, an die roten Johannisbeeren, an die Männer der Frauen und an jenen schrecklichen Abend, als ihre Cousine tödlich verunglückte! Doch was ist in jener Nacht wirklich passiert?

Vom Trauern, Vergessen und Neuanfangen


Eigentlich möchte Iris nur eine Woche in Bootshaven verbringen. Sie ist selbst überrascht, wie sehr sie die Erinnerungen bewegen. Vor allen die Frauen prägten die Familie – auch wenn in den Jahren nach Rosmaries Unfalltod die Balance untereinander und der Rückhalt aus den Fugen geriet. Dann trifft Iris einen alten Jugendfreund wieder und aus der Reise in die eigene Vergangenheit wird vielleicht ein Weg in eine gemeinsame Zukunft …

Ein Familienroman für Leser mit Geschmack


Das Überraschende an Der Geschmack von Apfelkernen von Katharina Hagena ist seine Vielschichtigkeit. Es ist ein zärtlicher Roman über Frauenschicksale, gleichzeitig eine ungewöhnliche Liebesgeschichte, ein Buch über die Kunst des Erinnerns und Vergessens und es ist auch ein bewegender Sommerroman. Das ist die ganz besondere Magie der Autorin, die mit ihrem neuen Roman Vom Schlafen und Verschwinden gerade erneut ihr erzählerisches Ausnahmetalent unter Beweis stellt!
 

Klappentext zu „Der Geschmack von Apfelkernen“

Auf Anhieb ein sensationeller Erfolg mehr als 250.000 verkaufte Exemplare
Schillernd und magisch sind die Erinnerungen an die Sommerferien bei der Groß mutter, geheimnisvoll die Geschichten der Tanten. Katharina Hagena erzählt von den Frauen einer Familie, mischt die Schicksale dreier Generationen. Ein Roman über das Erinnern und das Vergessen bewegend, herrlich komisch und klug.
Als Bertha stirbt, erbt Iris das Haus. Nach vielen Jahren steht Iris wieder im alten Haus der Großmutter, wo sie als Kind in den Sommerferien mit ihrer Kusine Verkleiden spielte. Sie streift durch die Zimmer und den Garten, eine aus der Zeit gefallene Welt, in der rote Johannisbeeren über Nacht weiß und als konservierte Tränen eingekocht werden, in der ein Baum gleich zweimal blüht, Dörfer verschwinden und Frauen aus ihren Fingern Funken schütteln. Doch der Garten ist inzwischen verwildert. Nachdem Bertha vom Apfelbaum gefallen war, wurde sie erst zerstreut, dann vergesslich, und schließlich erkannte sienichts mehr wieder, nicht einmal ihre drei Töchter. Iris bleibt eine Woche allein im Haus. Sie weiß nicht, ob sie es überhaupt behalten will. Sie schwimmt in einem schwarzen See, bekommt Besuch, küsst den Bruder einer früheren Freundin und streicht eine Wand an. Während sie von Zimmer zu Zimmer läuft, tastet sie sich durch ihre eigenen Erinnerungen und ihr eigenes Vergessen: Was tat ihr Großvater wirklich, bevor er in den Krieg ging? Welche Männer liebten Berthas Töchter? Wer aß seinen Apfel mitsamt den Kernen? Schließlich gelangt Iris zu jener Nacht, in der ihre Kusine Rosmarie den Unfall hatte: Was machte Rosmarie auf dem Dach des Wintergartens? Und wollte sie Iris noch etwas sagen? Iris ahnt, dass es verschiedene Spielarten des Vergessens gibt. Und das Erinnern ist nur eine davon.

Bibliografische Angaben

2009, 28. Aufl., 272 Seiten, Maße: 12,4 x 19 cm, Taschenbuch, Deutsch
Verlag: KIEPENHEUER & WITSCH
ISBN-10: 3462041495
ISBN-13: 9783462041491

Rezension

Am liebsten würde ich es ganz kurz machen und einfach nur sagen: Bitte unbedingt lesen. Diese Geschichte nimmt einen auf und trägt einen fort. (Christine Westermann in Frau TV, WDR)

'Der Geschmack von Apfelkernen' ist ein Genuss. (Martin Walser)

Es duftet nach Sommer, nach Äpfeln und Johannisbeeren. 'Der Geschmack von Apfelkernen' ist süß und zugleich bitter. Es ist ein trauriges, aber tröstliches Buch der Erinnerung geworden. (Martina Meister, Die Zeit)

Katharina Hagenas Roman ist eine einfühlsame Familiengeschichte ohne Klischees und voller Gegenwart. Ein Buch über das Erinnern und Vergessen. (Stern)

Mit 'Der Geschmack von Apfelkernen' ist ihr ein tolles Debüt gelungen. (Christoph Haas, Süddeutsche Zeitung)

Erzählt wird von Liebe, Tod, Ferien, unehelichen Kindern, Pubertätsnöten, dunklen Geheimnissen und Apfelbäumen, kurz: von allem, was das Leben ausmacht. Die Sprache des Romans ist schön klar und der leicht ironische Unterton der Ich-Erzählerin gelungen. (Anne Nordmann, taz)

Es liegt an Hagenas Gabe, aus dem Bitteren das Besondere zu machen, dass man sofort jeden einzelnen dieser tränenreichen Sommer kosten will. (Brigitte)

Autoren-Porträt von Katharina Hagena

Katharina Hagena, geboren 1967 in Karlsruhe, Sie studierte Anglistik und Germanistik in Marburg, London und Freiburg und promovierte über James Joyce. Sie erhielt ein Forschungsstipendium der Zürcher James-Joyce-Stiftung und arbeitete als Lektorin am Trinity College in Dublin. Heute lehrt sie englische Literatur an der Universität Hamburg und schreibt an einem Buch über Türme in der Literatur.

Lese-Probe

Der Geschmack von Apfelkernen von Katharina Hagena



I. Kapitel

Tante Anna starb mit sechzehn an einer Lungenentzündung, die aufgrund ihres gebrochenen Herzens und des noch nicht entdeckten Penizillins nicht heilen konnte. Ihr Tod trat an einem Spätnachmittag im Juli ein. Und als Annas jüngere Schwester Bertha daraufhin weinend in den Garten rannte, sah sie, dass mit Annas letztem rasselnden Atemzug alle roten Johannisbeeren weiß geworden waren. Es war ein großer Garten, die vielen alten Johannisbeerbüsche krümmten sich unter den schweren Früchten. Längst hätten sie gepflückt werden müssen, aber als Anna krank wurde, dachte keiner mehr an die Beeren. Meine Großmutter hat mir oft davon erzählt, denn sie war es damals gewesen, die die trauernden Johannisbeeren entdeckt hatte. Seitdem gab es nur noch schwarze und weiße Johannisbeeren im Garten meiner Großmutter, und jeder weitere Versuch, einen roten Busch zu pflanzen, schlug fehl, es wuchsen nur weiße Beeren an seinen Zweigen. Doch niemand störte sich daran, die weißen schmeckten beinahe ebenso süß wie die roten, beim Entsaften ruinierten sie einem nicht die ganze Schürze, und der fertige Gelee schimmerte in geheimnisvoll-fahler Durchsichtigkeit. »Konservierte Tränen« nannte ihn meine Großmutter. Und noch immer standen auf den Kellerregalen Gläser aller Größen mit Johannisbeergelee von 1981, einem besonders tränenreichen Sommer, Rosmaries letztem. Einmal fand meine Mutter auf der Suche nach eingelegten Gurken ein Glas von 1945 mit den ersten Nachkriegstränen. Das schenkte sie dem Mühlenverein, und als ich sie fragte, warum in aller Welt sie Omas wunderbaren Gelee an ein Heimatmuseum gebe, sagte sie, dass diese Tränen zu bitter seien.

Meine Großmutter Bertha Lünschen, geborene Deelwater, starb etliche Jahrzehnte nach Tante Anna, doch da wusste sie längst nicht mehr, wer ihre Schwester gewesen war, wie sie selbst hieß oder ob es Winter oder Sommer war. Sie hatte vergessen, was man mit einem Schuh, einem Wollfaden oder einem Löffel anfangen konnte. Im Laufe von zehn Jahren streifte sie ihre Erinnerungen mit derselben fahrigen Leichtigkeit ab, mit der sie sich die kurzen weißen Locken aus dem Nacken strich oder unsichtbare Krümel auf dem Tisch zusammenfegte. An das Geräusch der harten, trockenen Haut ihrer Hand auf dem hölzernen Küchentisch konnte ich mich deutlicher erinnern als an ihre Gesichtszüge. Auch daran, dass sich die beringten Finger immer fest um die unsichtbaren Krümel schlossen, als versuchten sie, die vorbeiziehenden Schattenbilder ihres Geistes zu fassen, aber vielleicht wollte Bertha auch nur nicht den Boden vollbröseln oder die Spatzen damit füttern, die im Frühsommer so gern im Garten Sandbäder nahmen und dabei immer die Radieschen ausgruben. Der Tisch im Pflegeheim war dann aus Kunststoff, und ihre Hand verstummte. Bevor ihr das Gedächtnis ganz verlorenging, bedachte uns Bertha in ihrem Testament. Meine Mutter Christa erbte das Land, Tante Inga die Wertpapiere, Tante Harriet das Geld. Ich, die letzte Nachkommin, erbte das Haus. Schmuck und Möbel, das Leinen und das Silber sollten zwischen meiner Mutter und meinen Tanten aufgeteilt werden. Klar wie Regenwasser war Berthas Testament – und ebenso ernüchternd. Die Wertpapiere waren nicht sehr wertvoll, auf dem Weideland der norddeutschen Tiefebene wollte außer Kühen niemand leben, Geld war nicht viel da, und das Haus war alt.

Bertha musste sich daran erinnert haben, wie sehr ich das Haus früher liebte. Von ihrem Letzten Willen erfuhren wir aber erst nach der Beerdigung. Ich reiste allein, es war eine weite, umständliche Fahrt in verschiedenen Zügen: Ich kam von Freiburg und musste längs durch das ganze Land, bis ich schließlich oben in dem Dorf Bootshaven an der Haltestelle gegenüber dem Haus meiner Großmutter aus einem fast leeren Linienbus ausstieg, der mich von einem geisterhaften Kleinstadtbahnhof aus durch die Ortschaften geschaukelt hatte. Ich war zermürbt von der Reise, der Trauer und den Schuldgefühlen, die man immer hatte, wenn jemand gestorben war, den man liebte, aber nicht gut kannte.

Auch Tante Harriet war gekommen. Nur hieß sie inzwischen nicht mehr Harriet, sondern Mohani. Sie trug jedoch weder orange Gewänder noch eine Glatze. Einzig die Holzperlenkette mit dem Bild des Gurus wies auf ihren neuen, erleuchteten Zustand hin. Mit ihren kurzen hennaroten Haaren und Reebok-Turnschuhen sah sie dennoch anders aus als der Rest der schwarzen Gestalten, die sich in kleinen Gruppen vor der Kapelle sammelten. Ich freute mich, Tante Harriet zu sehen, obgleich ich mit Beklommenheit und Unruhe daran dachte, dass ich sie das letzte Mal vor dreizehn Jahren gesehen hatte. Das war, als wir Rosmarie beerdigen mussten, Harriets Tochter. Die Unruhe war mir eine enge Vertraute, schließlich dachte ich jedes Mal, wenn ich mein Gesicht im Spiegel betrachtete, an Rosmarie. Ihre Beerdigung war unerträglich gewesen, wahrscheinlich ist es immer unerträglich, wenn fünfzehn Jahre alte Mädchen vergraben werden sollen. So fiel ich damals, wie man mir später berichtete, in eine tiefe Ohnmacht. Ich erinnerte mich nur noch dar-an, dass die weißen Lilien auf dem Sarg einen warmen feuchtsüßen Dunst ausströmten, der mir die Nase verklebte und in meiner Luftröhre Blasen schlug. Die Luft blieb mir weg. Dann kreiselte ich in ein weißes Loch.

Später wachte ich im Krankenhaus auf. Im Fallen hatte ich mir die Stirn am Kantstein aufgeschlagen, und das Loch musste genäht werden. Oberhalb der Nasenwurzel blieb eine Narbe zurück, ein blasses Mal. Es war meine erste Ohnmacht, ich bin danach noch oft in Ohnmacht gefallen. Das Fallen liegt bei uns in der Familie.

So war Tante Harriet nach dem Tod ihrer Tochter vom Glauben abgefallen. Zum Bhagwan sei sie gegangen, die Ärmste, hieß es im Kreis der Bekannten. In die Sekte. Wobei man das Wort Sekte mit gesenkter Stimme aussprach, so als fürchte man, die Sekte lauere einem auf und schnappe einen, rasiere einem den Schädel und ließe einen daraufhin wie die stillgelegten Irren aus »Einer flog übers Kuckucksnest« durch die Fußgängerzonen dieser Welt taumeln und mit kindlicher Freude Zimbeln spielen. Aber Tante Harriet sah nicht so aus, als wolle sie bei Berthas Beerdigung ihre Zimbeln auspacken. Als sie mich sah, drückte sie mich an sich und küsste meine Stirn. Sie küsste vielmehr die Narbe auf meiner Stirn, sagte aber nichts und schob mich weiter zu meiner Mutter, die neben ihr stand. Meine Mutter sah aus, als habe sie die letzten drei Tage geweint. Mein Herz zog sich bei ihrem Anblick zu einem faltigen Klumpen zusammen. Wie furchtbar, seine Mutter beerdigen zu müssen, dachte ich, als ich sie losließ. Mein Vater stand neben ihr und stützte sie, er war viel kleiner als beim letzten Mal und hatte Linien im Gesicht, die ich noch nicht kannte. Etwas abseits stand Tante Inga, sie war trotz der roten Augen atemberaubend. Ihr schöner Mund bog sich nach unten, was bei ihr nicht weinerlich aussah, sondern stolz. Und obwohl ihr Kleid schlicht und hochgeschlossen war, sah es nicht aus wie Trauer, sondern wie ein kleines Schwarzes. Sie war allein gekommen und ergriff meine beiden Hände. Ich zuckte kurz zusammen, ein kleiner Stromschlag traf mich aus ihrer linken Hand. Am rechten Arm trug sie ihren Bernsteinreif. Tante Ingas Hände fühlten sich hart an, warm und trocken. Es war ein sonniger Juninachmittag. Ich schaute mir die anderen Leute an, viele weißlockige Frauen mit dicken Brillen und schwarzen Handtaschen. Das waren Berthas Kränzchenschwestern. Der Altbürgermeister, dann natürlich Carsten Lexow, der alte Lehrer meiner Mutter, ein paar Schulfreundinnen und entfernte Kusinen meiner Tanten und meiner Mutter und drei große Männer, die ernst und unbeholfen nebeneinanderstanden und sofort als frühere Verehrer von Tante Inga zu erkennen waren, da sie kaum wagten, meine Tante offen anzusehen, sie aber doch nie aus den Augen ließen. Koops, die Nachbarn, waren gekommen, dann ein paar Leute, die ich nicht einordnen konnte, vielleicht vom Pflegeheim, vielleicht vom Beerdigungsinstitut, vielleicht von Großvaters alter Kanzlei.

Später gingen alle in das Lokal neben dem Friedhof, um Butterkuchen zu essen und Kaffee zu trinken. Wie das so ist nach Beerdigungen, fingen alle Trauernden sofort an zu sprechen, erst leise murmelnd, dann immer lauter. Selbst meine Mutter und Tante Harriet unterhielten sich fiebrig. Die drei Verehrer standen nun um Tante Inga, stellten die Beine weit auseinander und drückten ihre Rücken durch. Tante Inga schien ihre Huldigungen zu erwarten, nahm sie aber gleichzeitig mit sanfter Ironie entgegen.

Die Kränzchenschwestern saßen zusammen und hielten ein Kränzchen ab. Auf ihren Lippen klebten Zuckerkrümel und Mandelblättchen. Sie aßen, wie sie sprachen: langsam und laut und beständig. Zusammen mit den beiden Serviererinnen trugen mein Vater und Herr Lexow die Silberbleche mit Bergen quadratischer Butterkuchenstücke aus der Küche und stellten eine Kaffeekanne nach der anderen auf die Tische. Die Kränzchenschwestern scherzten ein bisschen mit diesen beiden aufmerksamen jungen Männern und versuchten, sie für ihre Kränzchen zu gewinnen. Und während mein Vater respektvoll schäkerte, lächelte Herr Lexow ängstlich und floh zu den Nachbartischen. Er musste ja schließlich hier wohnen bleiben.



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