Ein verführerischer Tanz Roman

Ein verführerischer Tanz Roman
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Produktbeschreibung

Spencer Dumarque ist der begehrteste Junggeselle der Stadt. Doch keine der Damen berührt sein Herz. Bis seine Wahl auf Lady Amelia d'Orsay fällt, die ihn im Sturm erobert. Doch Spencer hat ein dunkles Geheimnis und Amelia muss zweifeln: Verliert sie ihr Herz etwa an einen rücksichtslosen Salonhelden oder wird sie die immerwährende Liebe finden?
 

Klappentext zu „Ein verführerischer Tanz“

Der hinreißende Auftakt der leidenschaftlichsten Trilogie seit Langem.
Spencer Dumarque, der vierte Duke of Morland, ist in der Londoner Gesellschaft als "Duke of Midnight" berüchtigt der begehrteste Junggeselle der Stadt tanzt jeden Abend den Mitternachtswalzer mit einer anderen Dame. Doch keine berührt sein Herz. Bis die Wahl auf Lady Amelia d Orsay fällt, die ihn im Sturm erobert. Doch der Duke hat ein dunkles Geheimnis, und Amelia muss zweifeln: Wird sie ihr Herz an einen rücksichtslosen Salonhelden verlieren oder am Ende doch die immerwährende Liebe finden?

Bibliografische Angaben

2013, 448 Seiten, Maße: 12,5 x 18,7 cm, Taschenbuch, Deutsch, Übersetzung: Darius, Beate
Verlag: Blanvalet
ISBN-10: 3442380928
ISBN-13: 9783442380923

Autoren-Porträt von Tessa Dare

Tessa Dare ist halbtags Buchhändlerin und ganztags Mutter. Wenn sie sich nicht um ihre Kinder oder ihre Bücher kümmert, schreibt sie Romane. Als Kind ist sie ständig umgezogen und hat schnell gelernt: Egal wie oft sie den Wohnort wechselt, eine bestimmte Sorte von Freunden bleibt ihr immer: die Helden aus den Romanen, die sie gelesen hat. Aus diesem Grund entschied sie eines Tages, sich selbst ihre eigenen Freunde zu schaffen und Romane zu schreiben. Sie lebt zur Zeit mit ihrem Mann, ihren zwei Kindern und ihrem Hund in Kalifornien

 

Lese-Probe

Ein verführerischer Tanz von Tessa Dare


Spencer blieb abrupt stehen. Unfassbar, der Raum begann sich vor seinen Augen zu drehen. Warum musste ihm das ausgerechnet hier passieren?!

Die körperlichen Anzeichen waren indes unmissverständlich. Das Blut rauschte in seinen Schläfen. Eine glutheiße Welle erfasste seinen Körper. Die Luft war mit einem Mal zum Schneiden dick und erdrückend schwül.

Verflucht, er musste schleunigst hier raus.

»Wieso tanzen wir nicht weiter?«, wollte sie wissen. »Der Walzer ist noch nicht zu Ende.« Ihre Stimme klang weit weg und gedämpft.

»Mag sein, aber für mich ist er zu Ende.« Spencers Blick schweifte durch den Saal. Heftete sich auf die geöffneten Flügeltüren links von ihm, die auf die Terrasse führten. Er versuchte, sich von ihr zu lösen, doch sie umklammerte weiter seine Schultern und hielt ihn fest. »Grundgütiger«, ächzte er, »lassen Sie mich ...«

»Was?« Ihre Augen schossen nach links, und sie zischte: »Wollen Sie mich etwa hier allein auf der Tanzfläche stehen lassen und zum Gespött der Gäste machen? Das ist ja wohl das Letzte! Sie unzivilisierter, unhöflicher, ungehobelter ...« Als ihr die Adjektive ausgingen, warf sie ihm einen vernichtenden Blick zu, der mehr sagte als tausend Worte. »Ihr Benehmen ist unerhört!«

»Sparen Sie sich Ihre Worte.«

Er fasste sie fest um die Taille und hob Lady Amelia d'Orsay kurzerhand hoch, bis sie mit ihm auf Augenhöhe war und ihre Füße in den zierlichen Abendschuhen in der Luft zappelten.

Einen Herzschlag lang verfolgte er amüsiert, wie sich ihre aquamarinblauen Augen vor Entsetzen und Entrüstung weiteten.

Dann trug er sie hinaus in die Nacht.

1

London, Juni 1817

Brombeersoße. Amelia d'Orsay biss sich in die Innenseite ihrer Wange und unterdrückte einen kleinen Freudenschrei. Eine junge wohlerzogene Dame kreischte nicht spontan los, denn damit hätte sie die Aufmerksamkeit der Umstehenden auf sich gelenkt, und Amelia hatte wenig Lust, vor den jungen Mädchen, die sie umringten, lange Erklärungen abzugeben und sich den Mund fusselig zu reden. Zumal der Grund für ihre Begeisterung weder ein triumphaler Sieg am Kartentisch war noch ein attraktiver Ehekandidat, der um ihre Hand anhalten wollte, sondern eine geniale Eingebung für eine delikate Soßenkreation.

Sie konnte sich die Reaktion bildhaft vorstellen.

»Oh Lady Amelia«, käme es von den jungen Damen, »wie können Sie in dieser Situation bloß ans Essen denken!«

Bisweilen hatte man eben in den unmöglichsten Momenten einen Geistesblitz, na und? Konnte Amelia etwas dafür, dass sie ausgerechnet in einem Ballsaal stand und ihre Gedanken um die Menüs kreisten, die sie während des Sommeraufenthalts auf dem Land für ihre Familie kochen wollte? Immerhin überlegte sie schon seit Wochen, welche Kreation sie statt der Apfelschnapssoße für den gebratenen Fasan verwenden konnte. Pikant sollte sie sein, ein bisschen ausgefallen, aromatisch, fruchtig und nicht zu süß. Brombeersoße war die Idee! Abgeschmeckt mit einem Hauch Nelkenpfeffer. Oooh, das klang göttlich!

Fest entschlossen, die Zutaten nachher in ihrem Rezeptbuch zu notieren, blendete Amelia die Idee für ihre neue Soße aus und lächelte stillvergnügt in sich hinein. Der Sommer in Briarbank versprach mal wieder perfekt zu werden.

Mrs. Bunscombe rauschte in einer Wolke fuchsiaroter Seide an ihr vorbei.

»Meine Damen, es ist halb zwölf«, flötete die Gastgeberin. »Fast Mitternacht.«

Fast Mitternacht, echote es in Amelias Kopf.

Eine Debütantin mit unschuldigem Engelsgesicht und kunstvoll gerüschten Tüllwogen ergriff Amelias Handgelenk.

»Er kann jeden Moment hier eintreffen. Wie kannst du da so gelassen bleiben? Wenn seine Wahl heute Abend auf mich fällt, falle ich bestimmt in Ohnmacht.«

Amelia seufzte. Es war jedes Mal das gleiche Lied. Auf jedem Ball, sobald es nach halb zwölf war.

»Macht euch keine Gedanken wegen der Konversation«, sagte eine junge Dame in pistaziengrünem Seidenchiffon. »Er redet nicht besonders viel.«

»Kann er überhaupt Englisch? Wie war das noch gleich? Ist er nicht in Abessinien aufgewachsen oder ...«

»Nein, nein. Er kommt aus Kanada. Natürlich spricht er Englisch. Mein Bruder spielt öfter mit ihm Karten.« Die zweite junge Frau senkte die Stimme. »Aber er hat was Animalisches an sich, findet ihr nicht? Wie er sich bewegt.«

»Ich finde, du gibst zu viel auf Klatsch«, versetzte Amelia spitzfindig.

»Er tanzt wie ein junger Gott«, schwärmte eine dritte junge Frau. »Beim Walzer mit ihm schwebte ich förmlich über den Boden. Er hielt mich fest an sich geschmiegt, es war traumhaft. «

»Ach ja?« Amelia bedachte sie mit einem nachsichtigen Lächeln.

Erst mit Beginn der diesjährigen Ballsaison war der verschlossene und schwerreiche Duke of Morland in den feinen Londoner Kreisen aufgetaucht. Nur wenige Wochen später lag ihm bereits die ganze Stadt zu Füßen. Auf jedem Ball traf der Herzog um Punkt Mitternacht ein und suchte sich eine Partnerin aus den anwesenden Damen aus. Nach einer Tanzserie begleitete er die Lady zu einem Souper, und dann ... verschwand er wieder.

Nicht lange und die Zeitungen ernannten ihn sinnigerweise zum »Duke of Midnight«, und Seine Hoheit wurde zu jedem gesellschaftlichen Ereignis eingeladen. Aus lauter Sorge, ihre Chance bei dem Herzog zu verpassen, verschmähten die unverheirateten Damen die anderen Herren und zeigten ihnen, wenn die Geisterstunde begann, die kalte Schulter. Um den dramatischen Effekt noch zu steigern, stellten die Gastgeberinnen überall Uhren auf und wiesen die Orchester an, um Schlag zwölf zu spielen zu beginnen. Keine Frage, dass die Tanzserie mit einem romantischen langsamen Walzer endete.

Dieses nächtliche Spektakel verschaffte der Crème de la Crème einen köstlichen, fesselnden Nervenkitzel. Auf jedem Ball knisterte die parfümschwere Luft vor Spannung, sobald die Zeiger der Uhr auf Mitternacht vorrückten. Irgendwann, so wurde heimlich spekuliert, würde es einer der reizend unschuldigen Debütantinnen glücken, sich den eisernen Junggesellen zu angeln ... und damit Stoff für neue Geschichten liefern. Wie die mittelalterlichen Ritter mit ihrem Versuch, das Sagenschwert Excalibur aus dem Stein zu ziehen.

Stoff gab es allerdings auch so schon genug. Um einen reichen hochrangigen Adligen wie den Duke of Morland rankten sich jede Menge Geschichten.

»Ich hab gehört, er soll wie ein Waldkind in der kanadischen Wildnis groß geworden sein«, sagte die junge Dame in dem pistaziengrünen Seidenchiffon.

»Stimmt, ich hab gehört, dass er ein zerlumpter, unzivilisierter Bengel war, als sein Onkel ihn aufnahm«, bekräftigte die andere. »Und weil er so wild war, ist der arme alte Herzog einem Herzinfarkt erlegen.«

Die Lady in Grün murmelte:

»Mein Bruder hat mir von einem Vorfall in Eton erzählt. Von einer Messerstecherei oder Schlägerei ... ich weiß nicht mehr genau. Aber ein Junge wäre fast gestorben, und Morland wurde deswegen der Schule verwiesen. Wisst ihr was, wenn man den Erben eines Herzogs aus dem Internat wirft, muss schon etwas sehr Schlimmes passiert sein.«
»Ihr werdet es nicht glauben«, warf Amelia mit einem theatralischen Augenaufschlag ein. Die Damen neigten sich neugierig zu ihr und spitzten die Ohren. »Ich hab gehört«, flüsterte sie, »dass sich Seine Hoheit in den Vollmondnächten in einen gierigen Werwolf verwandelt.«

Als das verschämte Gekicher ihrer Begleiterinnen verebbte, sagte sie laut: »Also ich begreife nicht, weshalb ihr euch so brennend für ihn interessiert! Der Duke kocht auch bloß mit Wasser.«

»Du würdest anders reden, wenn du mal mit ihm getanzt hättest.«

Amelia schüttelte heftig den Kopf. Sie hatte diesen Ringelpiez mit Anfassen in den letzten Wochen zur Genüge beobachtet, zugegeben mit leichter Belustigung. Denn sie hatte nie darauf spekuliert oder gehofft, selbst einmal die Auserwählte zu sein. Das hatte nichts mit den verbotenen Früchten zu tun, an die man eh nie herankam, nein, ganz bestimmt nicht. Was die anderen jungen Damen faszinierend und romantisch fanden, hielt sie für melodramatischen Unsinn. Pfui Spinne, ein lediger, steinreicher, attraktiver Herzog, der seine Bestätigung suchte, indem er dauernd Frauenherzen brach? Wahrscheinlich war er grotteneitel und dazu ein unausstehliches Brechmittel.

Und seine Auserwählten waren durch die Bank flatterhafte, unbedarfte junge Mädchen in ihrer ersten oder zweiten Ballsaison. Alle zierlich, alle bildhübsch. Da konnte Amelia nicht mithalten.

Schwang da etwa doch ein Hauch von bitterem Neid mit?

War das so verwunderlich? Wenn man wie Amelia bald das heiratsfähige Alter überschritten hatte, durfte die feine Gesellschaft ihr bitteschön zubilligen, dass sie heimlich, still und leise zur alten Jungfer mutierte. Sie mochte nicht daran erinnert werden, dass sie jahrelang aussichtsreiche Ehekandidaten ausgeschlagen hatte. Und wenn der unsägliche Herzog Schlag Mitternacht den Saal betrat und sein Blick direkt an ihr vorbei zu irgendeinem jungen hübschen Dummchen glitt, kam ihr logischerweise die Galle hoch.

Sicher, sie war keine besonders auffällige Erscheinung. Ihre Vermögensverhältnisse waren ebenfalls zu vernachlässigen, und selbst in ihrer ersten Saison hatte Amelia nicht mit bezaubernder Schönheit geglänzt. Ihre blauen Augen waren ein wenig zu hell, und sie wurde bei der kleinsten Kleinigkeit rot. Inzwischen sechsundzwanzig, hatte sie sich damit abgefunden, dass sie ein bisschen zu füllig war.

Unvermittelt stoben die anderen jungen Frauen wie eine Horde schnatternder Flattergänse auseinander.
»Du siehst umwerfend aus, Amelia«, flüsterte eine tiefe Stimme hinter ihr.

Seufzend wirbelte sie herum.

»Jack. Was willst du denn schon wieder von mir?«

Er warf sich in die Brust und machte eine übertrieben tiefe Verbeugung vor ihr.

»Muss ich denn immer gleich was von dir wollen? Kann ein junger Mann seiner über alles geliebten Schwester nicht einmal ohne Hintergedanken ein Kompliment machen, hm?«

»Nicht, wenn es sich bei dem fraglichen jungen Mann um dich handelt. Zudem ist es kein Kompliment für mich, von dir als über alles geliebte Schwester bezeichnet zu werden. Ich bin schließlich deine einzige Schwester. Wenn du Geld von mir willst, musst du es schlauer einfädeln.« Sie schlug einen scherzhaften Ton an und hoffte wider besseres Wissen, dass er protestieren würde: »Nein, Amelia. Ich will kein Geld von dir. Ich spiele nicht mehr und ich trinke nicht mehr und ich habe meine nichtsnutzigen ›Freunde‹ in die Wüste geschickt. Ich studiere wieder. Und gehe in die Kirche, wie ich es unserer Mutter am Sterbebett versprochen hab. Und du siehst heute Abend wirklich bezaubernd aus.«

Nach einem schnellen Seitenblick auf die Umstehenden senkte er die Stimme.

»Hey, bloß ein bisschen Kleingeld. Mehr brauch ich nicht.«

Sie seufzte resigniert. Nicht mal Mitternacht, und seine Augen hatten bereits jenes wilde alkoholberauschte Funkeln, was darauf schließen ließ, dass er irgendetwas Unüberlegtes vorhatte.

Sie löste sich aus der Gruppe der jungen Damen, fasste ihn am Ellbogen und schob ihn zur nächstbesten Tür. Warme, schwüle Nachtluft empfing sie, als sie auf die Terrasse traten, hell erleuchtet von dem Licht, das durch die geöffneten Saalfenster fiel.

»Ich habe selbst nichts«, schwindelte sie.
»Bitte, Amelia, bloß ein paar Schillinge.« Er griff nach dem Abendtäschchen an ihrem Handgelenk. »Wir wollen ins Theater, ein paar andere und ich.«

Ins Theater, hahaha! In die nächste Spielhölle traf es wohl eher. Sie klemmte das perlenbestickte Beutelchen energisch an ihren Busen.

»Und wie komm ich dann nach Hause?«

»Ähm, Morland fährt dich heim.« Er zwinkerte ihr zu. »Gleich nach eurem Tanz. Ich hab heute Abend zwei Pfund auf dich gewettet.«

Noch zwei Pfund, die sie von ihrem Ersparten abzweigen musste!

»Und bestimmt mit einer sehr hohen Quote!«

»Sag nicht so was.« Er streifte begütigend ihren Arm. Seine Miene wurde mit einem Mal ernst. »Also jetzt mal ganz ohne Quatsch. Er könnte sich verdammt glücklich schätzen, wenn er dich nehmen würde, Amelia. In dem Saal da kann dir keine von den Ladys das Wasser reichen.«

Sie spürte Tränen in ihren Augenwinkeln. Seit ihr Bruder Hugh bei Waterloo gefallen war, hatte Jack sich sehr verändert, zum Negativen. In sehr seltenen Momenten kam jedoch der fürsorgliche, verständnisvolle Bruder zum Vorschein, den sie kannte und liebte. Am liebsten hätte sie ihn in ihre Arme geschlossen und festgehalten, Wochen, Monate ... bis der gute alte Jack wieder aus dem harten Panzer schlüpfte, in dem er sich verkrochen hatte.

»Komm schon, sei eine liebe Schwester und leih mir ein paar Kröten. Ich beschaffe dir bei Laurent auch einen von diesen schicken neuen Landauern. Damit wirst du im feudalen Stil nach Hause kutschiert, genau wie seine Kupfererbin. «

»Diese Kupfererbin heißt Winifred und ist inzwischen Countess of Beauvale, folglich kannst du ruhig ein bisschen respektvoller von ihr sprechen. Im Übrigen hat sie mit ihrem Vermögen für Michaels Offizierspatent gebürgt, und sie zahlt das Schulgeld für den kleinen William. Ihr und Laurent ist es letztlich zu verdanken, dass ich überhaupt noch ein Dach über dem Kopf habe.«
»Und ich bin der undankbare Chaot, der der Familie nichts als Ärger macht, ich weiß, ich weiß.« Als er ihr verschwörerisch zuzwinkerte, nötigte Amelia sich ein schmallippiges Lächeln ab. »Ein bisschen Kleingeld, und du bist mich los, ja?«

»Du kapierst wohl gar nichts, hm? Ich will dich überhaupt nicht loswerden. Ich liebe dich, du Idiot.« Sie schob sich eine vorwitzige Haarsträhne, die sich an ihrer linken Schläfe ringelte, hinters Ohr. »Willst du dir denn nicht von mir helfen lassen, Jack?«

»Klar doch. Ein oder zwei Schillinge würden mir für den Anfang locker reichen.«

Mit fahrigen Fingern öffnete sie die Bänder ihres Täschchens.

»Ich gebe dir alles, was ich dabeihabe, aber nur unter einer Bedingung.«

»Und die wäre?«

»Du musst mir versprechen, im Sommer mit nach Briarbank zu kommen.«

Die d'Orsays verbrachten den Sommer immer in Briarbank - in einem verwitterten Backsteincottage mit Blick auf den Fluss Wye, am Fuß des Hügels, auf dem die Schlossruine von Beauvale Castle stand. Amelia plante diesen Sommerurlaub schon seit Monaten bis ins kleinste Detail, von der Tischwäsche bis hin zu den Vorräten, die sie mitnehmen wollte. Briarbank tat allen gut, das wusste sie intuitiv. Zumal sie sich dort immer blendend erholt hatten.

Hughs Tod hatte der gesamten Familie schwer zugesetzt, Jack indes am meisten, denn von ihren Brüdern hatten sich Hugh und Jack am nächsten gestanden. Hugh war zwar nur ein Jahr älter gewesen, aber sehr reif und verständig für sein Alter, und er hatte mit seiner Ernsthaftigkeit ausgleichend auf Jacks impulsives Temperament gewirkt. Nach dem Tod des geliebten Bruders befürchtete Amelia, dass der draufgängerische Jack angesichts seiner tiefen Trauer den letzten Halt verlieren und vollends abrutschen könnte.

Was er brauchte, waren liebevolle Zuwendung und Zeit, damit seine Wunden heilten. Eine Auszeit, die er weit weg von der Stadt verbrachte, in ihrem Sommerhaus und im Kreise der Familie, oder dem, was davon noch übrig war. Hier in London lockten ständig zweifelhafte Vergnügungen, vor allem weil er sich unter dem Druck wähnte, mit seinen verschwenderischen Freunden mitzuhalten. In Briarbank fand er bestimmt zu sich selbst und lebte wieder auf. Der kleine William würde die Schulferien mit ihnen zusammen verbringen. Michael war leider noch auf hoher See, aber Laurent und Winifred kamen sicher für ein, zwei Wochen zu ihnen.

Amelia freute sich schon darauf, in die Fußstapfen ihrer Mutter zu treten. Ihre Mama war immer eine perfekte Gastgeberin gewesen. Sie nahm sich fest vor, in jedes Zimmer große Vasen mit frischen Löwenmäulchen zu stellen, Spieleabende zu veranstalten und gebratenen Fasan mit Brombeersoße zu servieren.

Sie wollte, dass alle glücklich waren, koste es, was es wolle. Selbst wenn sie jemanden bestechen musste.

»Ich hab eine Krone und drei Schillinge dabei«, sagte sie, während sie die Münzen aus ihrer Geldbörse nahm, »sechs Pfund hab ich noch zu Hause.« Gespart, geknausert, zusammengekratzt, Penny für Penny. »Es gehört alles dir, wenn du mir versprichst, dass du den August mit uns in Briarbank verbringst. «

Jack räusperte sich umständlich.

»Hat er dir noch nichts erzählt?«

»Wer? Wer hat mir was noch nicht erzählt?«

»Laurent. Wir fahren diesen Sommer nicht, haben wir diese Woche beschlossen. Wir vermieten das Cottage.«

»Ihr wollt vermieten?« Amelia fiel aus allen Wolken. Ihr Kopf war mit einem Mal wie leergefegt, und sie umklammerte benommen Jacks Arm. »Briarbank vermieten? An Fremde?«

»Na ja, nicht direkt an Fremde. Wir haben in den Clubs annonciert und rechnen mit Anfragen von der einen oder anderen angesehenen Familie. Immerhin ist das Cottage ein Schmuckstück von einem Sommerhaus.«
»Ja«, brachte sie zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. »Ja, das weiß ich. Es ist traumhaft schön, deshalb verbringt die Familie d'Orsay dort seit Jahrhunderten die Sommermonate. Seit Jahrhunderten, Jack. Und jetzt kommst du mir damit, dass du das Cottage vermieten willst? Ich glaub, ich spinne!«

»Komm, meinst du nicht auch, dass das Landleben mit Plätzchen backen und Friede, Freude, Eierkuchen eine altmodische Marotte von dir ist? In Briarbank ist es unerträglich langweilig. Hinzu kommt die weite Fahrt, bis fast nach Irland rüber.«

»Langweilig? Was hat dich denn geritten? Du warst doch immer gern dort, du hast im Fluss geangelt und ...« Die Erleuchtung traf sie wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Sie erstarrte. »Oh nein.« Sie grub ihre Finger in seinen Arm. »Wie viel hast du verloren? Wie hoch sind deine Spielschulden? «

»Vierhundert Pfund«, antwortete er resigniert und wich ihrem Blick aus.

»Vierhundert Pfund! Bei wem?«

»Bei Morland.«

»Der Duke of Midni...« Amelia biss sich auf die Lippe. Sie sträubte sich dagegen, den unrühmlichen Spitznamen des Herzogs in den Mund zu nehmen. Trotzdem war es absurd. »Aber ... aber er ist noch nicht eingetroffen. Wie hast du es geschafft, vierhundert Pfund an ihn zu verlieren, wo er noch gar nicht hier ist?«

»Die Schulden sind nicht von heute Abend. Das war vor ein paar Tagen. Deshalb muss ich schleunigst weg. Er kann jeden Moment hier sein, und ich möchte ihm nicht begegnen, solange ich das Geld nicht habe.«

Amelia starrte ihn fassungslos an.

»Schau mich nicht so an, das ertrage ich nicht. Ich war verdammt gut im Rennen, bis Faraday seinen Clubanteil ins Spiel brachte. Das brachte Morland an unseren Spieltisch, und er trieb es mit den Einsätzen auf die Spitze. Er will alle zehn haben, weißt du.«

»Alle zehn was? Alle zehn Anteile?«

»Ja natürlich. Diese Clubanteile bedeuten ihm alles.« Jack machte eine ausgreifende Handbewegung. »Komm schon, tu nicht so weltfremd, als hättest du noch nie von dem vornehmsten Herrenclub gehört, den London derzeit zu bieten hat.«

Als sie ihn verständnislos anblinzelte, fügte er hinzu: »Harcliffe. Osiris. Ein Deckhengst, zehn Anteile in Form von Messingmünzen. Du hast bestimmt was darüber gelesen, oder?«

»Tut mir leid, aber ich weiß nicht, wovon du sprichst. Willst du mir damit sagen, dass du unser historisches Anwesen als Wetteinsatz gegen eine Messingmünze gesetzt und verloren hast?«

»Ich war schon mit ein paar hundert Pfund im Spiel, Amelia. Ich konnte keinen Rückzieher machen. Und meine Karten ... waren unschlagbar, Ehrenwort.«

»Wie sich herausstellte, anscheinend nicht.«

Er zuckte wegwerfend mit den Schultern.

»Ist eben dumm gelaufen. Ich hatte eben nicht mehr Geld, um meinen Wetteinsatz zu erhöhen. Da kam mir die Idee mit dem Cottage. Komm, sei nicht sauer, es gibt immer ein nächstes Jahr, einen nächsten Sommer.«

»Ja, aber ...« Bis zum nächsten Sommer dauerte es wieder ein ganzes Jahr. Sie mochte gar nicht daran denken, was ihr missratener Bruder bis dahin alles anstellte. »Es muss eine andere Lösung geben. Geh zu Laurent und bitte ihn um das Geld.«

»Du weißt, dass er es nicht hat.«

Es stimmte. Ihr ältester Bruder hatte sich geopfert und mehr oder weniger eine Vernunftehe geschlossen. Damals war ihre Familie in verzweifelter Geldnot gewesen, und Winifred brachte eine lukrative Mitgift mit, denn ihr Vater, ein Kupferminen- Unternehmer in großem Stil, scheffelte säckeweise Geld.

Das Problem war nur, dass Laurents Schwiegervater auf diesen Säcken brütete wie eine Henne auf ihren Eiern. Der alte Knauser hätte niemals vierhundert Pfund herausgerückt, um damit Spielschulden zu begleichen.

»Ich muss weg, bevor Morland hier auftaucht«, bekannte Jack abermals. »Bitte begreif das doch.«

Er nahm ihr die Börse ab und schüttelte die Münzen hastig heraus. Oh ja, sie hatte begriffen. Wenn sie gar nichts mehr hatten, konnten die d'Orsays sich wenigstens noch an ihren Stolz klammern.

»Hast du deine Lektion endlich gelernt?«, fragte sie. Jack sprang bereits über die niedrige Terrassenbrüstung in den Garten. Die Münzen klirrten.

»Pah, von wegen! Du kennst mich doch, Amelia. Ich war nie gut in der Schule. Meistens hab ich von Hugh abgeschrieben. «

Amelia schlang die Arme um ihren Oberkörper und beobachtete, wie ihr Bruder in der Dunkelheit verschwand.

Konnte es noch schlimmer kommen? Es war an Grausamkeit kaum zu überbieten! Briarbank, den Sommer über vermietet! An wildfremde Menschen. Bestimmt wussten sie gar nicht das schöne Cottage mit den kühlen Steinfliesen und den duftenden, liebevoll an den alten Holzbalken aufgehängten Lavendelsäckchen zu würdigen. Sie hatte sich erlesene Menüs ausgedacht und Ausflüge geplant - das alles konnte sie getrost vergessen. Ohne das Cottage war die Familie d'Orsay aufgeschmissen. Ihrem Bruder war damit jede Möglichkeit genommen, seine Trauer angemessen zu verarbeiten.

Und was noch schwerer wog: Sie hatte keinen Rückzugsort mehr.

Ihre Ehelosigkeit zu akzeptieren, war Amelia nicht leichtgefallen, denn an der Einsamkeit und Enttäuschung hatte sie oft zu knabbern. Aber die Sommer in dem zugigen Steincottage entschädigten sie dafür - das redete sie sich zumindest ein. Diese Sommeraufenthalte machten ihr den Rest des Jahres erträglich. Während ihre Freundinnen Spitzentücher und Leinenwäsche für ihre Aussteuer sammelten, stickte Amelia Sitzkissen für Briarbank. Andere junge Damen empfingen Besucher und Ehekandidaten, Amelia züchtete Begonien für ihre Blumenkästen. Wenn sie - eine intelligente, besonnene, wohlerzogene Lady - auf Bällen verschmäht wurde, weil die Gentlemen sich nach jüngeren, hübscheren, einfältigeren Mädchen umschauten, sah sie milde lächelnd darüber hinweg, dachte an Brombeersoße und wähnte sich glücklich.

Oh Gott, welche Ironie. Demnach war sie Jack ziemlich ähnlich. Sie hatte ihre Hoffnung impulsiv auf einen Haufen gemauerter Steine gesetzt. Und sie hatte verloren.

Fröstelnd stand sie allein auf der Terrasse und rang mit ihrem Schicksal, dass sich an einem einzigen Abend ihre Träume zerschlagen hatten.

Irgendwo im Saal schlug eine Uhr zwölf Mal - Mitternacht.

»Seine Hoheit, der Duke of Morland.«

Mit der Ankündigung des Butlers ertönte der letzte, donnernde Schlag.

Vom Treppenabsatz beobachtete Spencer, wie die Gäste zur Seite traten, eine Gasse bildeten und auf die Knie sanken, wie zwei Hälften eines überreifen Pfirsichs. Und am Ende der Reihe warteten regungslos die unverheirateten jungen Damen - erbebend unter seinem Blick.

Grundsätzlich verabscheute Spencer Menschenansammlungen. Und im Besonderen herausgeputzte, selbstgefällige Menschen. Und dieses Szenario gestaltete sich nachts umso absurder: Die Elite der Londoner High Society starrte ihn mit unverhüllter Faszination an.

Wir wissen nicht, wie wir Sie einschätzen sollen, signalisierten die Blicke.

Umso besser. Es war eine nützliche - und häufig dankeswerte - Eigenschaft, undurchschaubar zu sein. Er hatte diese Fähigkeit über die Jahre bis zur Perfektion kultiviert.

Wir trauen Ihnen nicht. Das entnahm er dem Getuschel und dem Verhalten der Gentlemen, die ihn nicht aus den Augen ließen, während die Hände der Damen instinktiv nach den Colliers tasteten, die ihre Dekolletés schmückten. Na und? Was war daran verkehrt, wenn die anderen Respekt vor ihm hatten?
Und noch etwas anderes entlockte ihm heimlich ein Grinsen. Die stumme Bitte, die jedes Mal in der Luft hing, sobald er in einem Ballsaal aufkreuzte.

Hier, nehmen Sie eine von unseren Töchtern.

Heiliger Strohsack. Musste das wirklich sein?

Während er die Travertinstufen hinunterschritt, machte Spencer sich mental auf eine unangenehme halbe Stunde gefasst. Wäre es nach ihm gegangen, hätte er sich auf seinen Landsitz verkrümelt und nie wieder einen Ball besucht. Da er jedoch zeitweilig in London residieren musste, konnte er nicht alle Einladungen ausschlagen. Nicht zuletzt ging es um Claudia, sein Mündel, das in ein paar Jahren eine gute Partie machen sollte. Folglich musste er sich darum kümmern, dass sie als Debütantin in die Gesellschaft eingeführt wurde. Zudem bot sich auf solchen Festen häufiger die Gelegenheit zu riskanten Kartenspielen mit hohem Einsatz, in irgendwelchen Hinterzimmern und weit genug entfernt von den weiß gepuderten Matronen, die sich beim Whist vergnügten.

Deshalb ließ er sich blicken, aber er diktierte die Bedingungen. Eine Tanzfolge und das war's. So wenig Konversation wie möglich. Und da diese Mischpoke entschlossen schien, ihm ihre unschuldigen Jungfrauen zu Füßen zu werfen ... hatte er die freie Auswahl.

Heute Abend bevorzugte er den stillen Typ.

Für gewöhnlich mochte er die Jungen, Naiven, die mehr daran interessiert waren, ein Bad in der Menge zu nehmen, als mit ihm zu plaudern. Auf dem Ball der Pryce-Fosters hatte er das große Pech gehabt, an eine gewisse Miss Francine Waterford zu geraten. Ziemlich hübsch, mit lebhaften Augen und vollen, rosigen Lippen. Der Haken war bloß der, dass diese Lippen jeglichen Reiz verloren, da Francines Mundwerk nie stillstand. Während sie tanzten, hatte sie die ganze Zeit gequasselt. Und das Schlimmste war, sie hatte ihn genötigt zu antworten. Die meisten Frauen übernahmen spielend beide Seiten der Konversation, Miss Waterford jedoch ließ ein kurzes Nicken oder eingestreutes Räuspern nicht gelten. Zähneknirschend hatte er schließlich ein paar Mal geantwortet und drei Kreuze gemacht, als der Spuk vorbei war.

Das hatte man davon, wenn man ein sensibler Ästhet war. Er hatte genug von den hübschen Dingern. Heute Abend wollte er zur Abwechslung mal ein stilles, schüchternes Mauerblümchen auffordern. Seinetwegen brauchte sie nicht hübsch zu sein, sie musste bloß die Klappe halten.

Während er sich dem Kreis junger Damen näherte, fiel sein Blick auf ein gertenschlankes Mädchen in einer aparten melonenfarbenen Seidenrobe, das am Rand der Gruppe stand. Als er auf sie zuging, versteckte sie sich halb hinter ihrer Nachbarin. Und wich seinem Blick aus. Perfekt.

Kaum dass er seine Hand ausstreckte, um sie zum Tanzen aufzufordern, ließ ihn plötzlicher Lärm aufmerken. Glasscheiben klirrten. Eine Tür knallte. Absätze klackerten in hartem Stakkato über die Steinfliesen.

Spencer schnellte unwillkürlich herum. Eine jüngere Dame in Blau schoss wie eine Billardkugel durch den Saal und blieb direkt vor ihm stehen. Energisch packte sie seine einladend ausgestreckte Hand, die Miss Melonenseide verschmäht hatte.

Nach einem angedeuteten Knicks sagte sie:

»Danke, Hoheit. Ich fühle mich geehrt.«

Nach einer quälend langen Pause setzte die Musik ein.

Die Gruppe enttäuschter Ladys löste sich auf und machte sich leise zeternd auf die Suche nach neuen Tanzpartnern. Zum ersten Mal in dieser Saison fand sich Spencer neben einer Partnerin wieder, die er sich nicht selbst ausgesucht hatte.

Das war überaus verblüffend.

Und passte ihm überhaupt nicht in den Kram.

Trotzdem ließ er sich nichts anmerken. Die impertinente Person stellte sich zu einer Polonaise mit ihm auf. Kannte er die Lady eigentlich?

Während die anderen Tanzpaare um sie herumwirbelten, beobachtete er sie heimlich. Attraktiv sah weiß Gott anders aus. Statt leichtfüßig wie eine Elfe zu schweben, sprintete sie linkisch durch den Saal. Widerspenstige Haarsträhnen fielen ihr ins Gesicht, und sie keuchte vor lauter Anstrengung. Das war wenig vorteilhaft für ihren Teint, der die Farbe einer reifen Erdbeere annahm, und brachte ihren üppigen Busen verstärkt zur Geltung. Sie war eigentlich insgesamt üppig. Füllige Kurven zeichneten sich unter dem blauen Satinstoff ihres Abendkleides ab.

»Verzeihen Sie«, sagte er, als sie einander umkreisten. »Sind wir uns schon einmal vorgestellt worden?«

»Ja, vor Jahren. Sie erinnern sich bestimmt nicht mehr. Ich bin Lady Amelia d'Orsay.«

Die Schrittfolge trennte sie voneinander, und er hatte einen Moment Zeit zum Überlegen: Lady Amelia d'Orsay. Ihr verstorbener Vater war der siebte Earl of Beauvale gewesen, und ihr älterer Bruder, Laurent, war demnach der achte Earl of Beauvale.

Und ihr jüngerer Bruder Jack, die nichtsnutzige Dumpfbacke, schuldete Spencer vierhundert Pfund.

Sie musste seinen Moment geistiger Erleuchtung gespürt haben, denn als sie sich das nächste Mal die Hand reichten, sagte sie:

»Ich möchte jetzt nicht darüber sprechen. Das können wir beim Walzer diskutieren.«

Er stöhnte heimlich auf. Womit hatte er das verdient, noch dazu mit diesem Trampeltier? Verdammt, warum hatte er nicht schneller reagiert und sich das grazile scheue Reh gegriffen? Nachdem Lady Amelia mit ihrem plumpen Überraschungsmanöver erfolgreich gewesen war, fragte er sich, welche Tricks die Damen - oder ihre erfinderischen Mütter - noch so in petto hatten. Vielleicht sollte er das nächste Mal vor einem gesellschaftlichen Ereignis die Dame seiner Wahl schriftlich zum Tanzen auffordern. Aber das würde bedeuten, dass er Besuche machen musste, und Spencer machte keine Anstandsbesuche. Vielleicht konnte sein Sekretär das mit den Briefen für ihn erledigen? Die ganze Situation war zermürbend.

Die Polonaise endete, und der Walzer begann. Er sah sich genötigt, sie in seine Arme zu schließen, diese Frau, die sein Leben erheblich komplizierter machte.

Dankenswerterweise kam sie ohne Umschweife zum Thema.

»Eure Hoheit, mein Bruder schuldet Ihnen eine große Summe Geld.«

»Er schuldet mir vierhundert Pfund.«

»Finden Sie nicht, dass das eine große Summe ist?«

»Es ist die Summe, die er mir schuldet. Die genaue Höhe ist unbedeutend.«

»Für mich nicht. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es Ihrer werten Aufmerksamkeit entgangen ist, aber der Name d'Orsay steht für verarmten Adel. Für uns sind vierhundert Pfund eine riesige Geldsumme, soll heißen, wir haben das Geld nicht.«

»Und, was schlagen Sie vor? Wollen Sie mir statt des Geldes Ihre Gunst anbieten?« Er quittierte ihren schockierten Gesichtsausdruck mit der kühlen Bemerkung: »Kein Interesse. «

Das stimmte nicht so ganz. Er war ein Mann. Und sie war eine gut gebaute Frau, mit vollen Brüsten, deren Ansatz sich reizvoll über der engen Korsage ihres Abendkleides wölbte. Irgendwie fand er sie zunehmend anziehend. Seine Augen huschten immer wieder zu ihrem Dekolleté, frivol eingerahmt von veilchenblauer Seide und sahneweißer Spitze. Da er sie um einiges überragte, konnte er das dunkle Muttermal an der inneren Rundung ihrer linken Brust ausmachen, und er ertappte sich dabei, dass sein Blick magnetisch von diesem kleinen Schönheitsfleck angezogen wurde.

»Was für ein grandioser Vorschlag«, bemerkte sie spitz. »Machen Sie den verzweifelten weiblichen Verwandten Ihrer Schuldner routinemäßig solche unmoralischen Angebote?«

Er zuckte mit den Schultern. Sollte sie doch glauben, was sie wollte. Spencer hatte keine Lust, sich mit ihr anzulegen.

»Als wenn ich meine Gunst für vierhundert Pfund verschleudern würde!«

»Meinten Sie nicht vorhin, das wäre viel Geld für Sie?« Jedenfalls entschieden mehr als der gängige Preis für einschlägige Liebesdienste, fügte er im Geiste hinzu.
»Es gibt gewisse Dinge, die sind mit Geld nicht zu bezahlen. «

Er erwog, etwas zu erwidern, verwarf den Gedanken aber wieder. Dieser Frau fehlte anscheinend jegliche Logik, um seiner Argumentation zu folgen. Was sie mit ihrer nächsten Äußerung auch gleich bewies.

»Ich ersuche Sie darum, Jack die Schulden zu erlassen.«

»Ich weigere mich.«

»Sie können sich nicht einfach weigern.«

»Ich habe es soeben getan.«

»Vierhundert Pfund sind ein Klacks für Sie. Und Sie hatten es doch letztlich gar nicht auf Jacks Geld abgesehen, oder? Zudem konnte er nichts dafür, dass Sie mitten im Spiel den Einsatz erhöht haben. Sie wollten Mr. Faradays Anteil, und den haben Sie bekommen. Geben Sie Ihrem Herzen einen Stoß und erlassen Sie meinem Bruder seine Spielschulden, ja?«

»Nein.«

Sie schnappte entrüstet nach Luft und rang nach Fassung. Wut kämpfte mit Verzweiflung, vermischte sich mit ihrem umwerfend weiblichen Duft. Sie roch nicht nach einem dieser schweren, süßen Parfüms - die konnte sie sich vermutlich nicht leisten -, sondern schlicht nach Seife und gepflegter Haut und einem Hauch Lavendel. Wahrscheinlich schob sie kleine Säckchen zwischen ihre Unterwäschestapel.

Ihre blaue Augen bohrten sich in seine.

»Warum nicht?«

Spencer unterdrückte ein ärgerliches Seufzen. Er hätte ihr jetzt lang und breit erklären können, dass er ihrem Bruder und ihrer Familie keinen großen Gefallen tat, wenn er Jack die Spielschulden erließ. Zum einen wären die d'Orsays ihm zu Dank verpflichtet, der schwerer wog als Gold, weil er unbezahlbar war. Zum anderen hätte Jack dann keinen Grund, sein Fehlverhalten einzusehen und daraus für die Zukunft zu lernen. Sonst war es nur eine Frage von Wochen, bis sich der junge Kerl noch höher verschuldete. Zweifellos waren vierhundert Pfund für die d'Orsays eine hohe Summe, gleichwohl ruinierten sie die Familie nicht. Und wenn Lady Amelias Bruder dadurch zur Vernunft käme, wären die vierhundert Pfund hervorragend investiert.

So oder so ähnlich hätte er ihr das erklären können. Aber er war der Duke of Morland. Der Titel bedeutete ihm nur insofern etwas, als er ein paar Vorteile hatte. Ein Herzog brauchte sich und seine Entscheidungen nicht zu erklären. Punkt.

»Weil ich es nicht mache«, sagte er bestimmt.

Sie blies die Backen auf.

»Verstehe. Und ich kann Sie nicht umstimmen?«

»Nein.«

Lady Amelia zitterte. Er fühlte es, dort wo seine Hand sich an ihren Rücken schmiegte. Aus Sorge, dass sie in Tränen ausbrechen könnte - und eine Szene wäre wirklich das Fanal für seine eiserne Selbstbeherrschung -, zog Spencer sie fest in seine Arme und drehte sich schwungvoll mit ihr über das Parkett.

Ungeachtet seiner Bemühungen zitterte sie bloß heftiger. Gedämpfte Laute, eine Mischung aus Schluckauf und Japsen, entschlüpften ihrer Kehle. Wider besseres Wissen betrachtete er ihr Gesicht.

Kaum zu fassen, sie lachte.

Sein Herzschlag beschleunigte sich. Sacht, immer mit der Ruhe.
»Es stimmt, was die Damen sagen. Sie tanzen einfach göttlich Walzer.« Ihre Augen glitten über sein Gesicht, seine Brauen, sein kantiges Kinn und fixierten schließlich mit unverstellter Neugier seinen Mund. »Und Sie sind ganz ohne Zweifel attraktiv.«

»Wenn Sie meinen, damit etwas erreichen zu können, muss ich Sie enttäuschen. Es funktioniert nicht.«

»Nein, nein.« Sie lächelte, und auf ihrer rechten Wange erschien ein bezauberndes Grübchen. »Inzwischen ist mir klar, dass ich Sie nicht umstimmen kann. Sie sind ein beispielhaftes Muster an Entschlossenheit, und jeder Versuch, Sie zu etwas anderem zu bewegen, wäre vergebliche Liebesmüh.«

»Und wieso lachen Sie dann?«

Was soll die Frage überhaupt?, fragte er sich ärgerlich. Weshalb ließ er das Gespräch nicht auf sich beruhen? Und wieso grübelte er insgeheim, ob auf Lady Amelias linker Wange gelegentlich auch ein Grübchen zu sehen war, wenn sie ungezwungener lächelte? Oder war das Grübchen auf der rechten Wange bloß eine dieser kleinen Unvollkommenheiten, so wie der Leberfleck auf ihrem Busen?

»Weil«, antwortete sie, »Lachen die beste Medizin ist. Was soll ich mich noch länger rumquälen? Sie haben mir klipp und klar gesagt, dass Sie Jack die Spielschulden nicht erlassen. Demnach kann ich entweder Trübsal blasen oder mich amüsieren.«

»Amüsieren Sie sich.«

»Die Vorstellung schockiert Sie, das seh ich Ihnen an. Keine Frage, es gibt Leute« - an dieser Stelle warf sie ihm einen scharfen Blick zu - »die man anscheinend nie zufriedenstellen kann. Diese arroganten Zeitgenossen halten sich für überlegen, wenn sie an allem herummäkeln und die anwesenden Gäste kritisieren können. Bevor sie eine Einladung wahrnehmen, haben sie bereits für sich entschieden, dass sie sich dort halb zu Tode langweilen werden. Ist es so abwegig, wenn ich anders gestrickt bin? Dass ich einen schönen Abend verbringen möchte, trotz einer herben persönlichen Enttäuschung und finanziellen Ruins?«

»Es klingt unaufrichtig.«

»Unaufrichtig?« Sie lachte glockenhell. »Verzeihen Sie, Herzog Morland, aber dass ausgerechnet Sie mich der Unaufrichtigkeit bezichtigen, soll wohl ein Scherz sein, oder? Denken Sie mal an das kleine Mitternachtsmelodram, das Sie seit Wochen aufführen. Die gesamte Handlung basiert doch auf der Annahme, dass wir höheren Töchter nichts anderes wollen als Ihre ungeteilte Aufmerksamkeit. Dass ein Tanz in den Armen des Duke of Midnight der Traum aller jungen Damen sei. Und da halten Sie mich für unaufrichtig, wenn ich mich amüsieren möchte!«

Sie reckte stolz ihr kleines Kinn, und ihr Blick schweifte über die Menge. »Ich gebe mich keinen Illusionen hin. Ich bin eine verarmte Adlige, habe mehrere Ballsaisons hinter mir und war selbst in der Blüte meiner Jugend keine große Schönheit. Ich stehe nicht oft im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit, Euer Hoheit. Weiß ich denn, ob mir das nach diesem Walzer mit Ihnen je wieder passiert? Folglich habe ich beschlossen, den Augenblick zu genießen.« Ihre Lippen verzogen sich zu einem trotzigen, aufmüpfigen Lächeln. »Und Sie können mich nicht daran hindern.«

Spencer beschlich das mulmige Gefühl, dass er die längste und nervenaufreibendste Tanzfolge seines Lebens absolvierte. Er drehte den Kopf zur Seite, führte sie pflichtschuldig über das Parkett, schwer bemüht zu ignorieren, dass sämtliche Blicke auf sie geheftet waren. Verfluchte Bande, dachte er zähneknirschend.

Als er kurz zu ihr hinunterschaute, stellte er fest, dass Lady Amelias ihn hartnäckig ansah.

»Was starren Sie mich so an? Wie wär's, wenn Sie mal woanders hinguckten?«

Sie zuckte mit keiner Wimper.

»Warum denn?«

Na toll.

»Wissen Sie«, flüsterte sie in einem heiseren Tonfall, den er bei jeder anderen Frau als sinnliches Angebot verstanden hätte, »es passiert nicht oft, dass ein spätes Mädchen Gelegenheit hat, ein Prachtexemplar von solch kraftstrotzender Männlichkeit zu bewundern, noch dazu aus nächster Nähe. Ihre ausdrucksstarken braunen Augen, die dunkelgelockten Haare ... Ich würde diese Locken zu gern mal berühren.«

»Pst«, wiegelte er nervös ab. »Machen Sie hier bloß keine Szene.«

»Oh, Sie haben damit angefangen«, murmelte sie schlagfertig. »Ich stehle Ihnen bloß die Schau.«

Nahm dieser Walzer denn gar kein Ende?

»Möchten Sie, dass wir das Thema wechseln?«, fragte sie. »Wir könnten uns über das Theater unterhalten.«

»Ich gehe nicht ins Theater.«

»Dann über Bücher.«

»Ein anderes Mal«, entfuhr es ihm. War er noch ganz bei Trost! Wie konnte er so etwas sagen? Das Merkwürdige war, dass Lady Amelia trotz ihrer unsäglich vielen unangenehmen Eigenschaften eine gewisse Intelligenz und Schlagfertigkeit besaß. Er konnte sich durchaus vorstellen, mit ihr über Bücher zu diskutieren. Aber nicht hier, in einem überfüllten Ballsaal, wo die Wände Ohren hatten. Außerdem konnte er sich nicht mehr richtig konzentrieren.

Die Kontrolle entglitt ihm zusehends.

Zwischen seinen Brauen bildete sich eine missmutige Falte.

»Ooch, schauen Sie doch nicht so böse«, meinte sie. »Ihr Gesicht hat einen verflixt ungesunden Rotton angenommen. Fast schenke ich den unheimlichen Gerüchten Glauben, die über Sie im Umlauf sind. Da sträuben sich mir doch glatt die Nackenhaare.«

»Hören Sie auf damit.«

»Es ist mein Ernst«, protestierte sie. »Sehen Sie selbst.« Sie stellte sich auf die Zehenspitzen, drehte den Kopf zur Seite und zeigte ihm ihren zarten blassen Hals. Er war makellos, ohne Sommersprossen. Cremeweiße, weiche, süß duftende Frauenhaut.

Spencers Herz trommelte hart gegen seine Rippen, während er spontan erwog, was er lieber tun würde: ihr den Hals umdrehen oder ihn mit zärtlichen Küssen verwöhnen. Hineinbeißen wäre ein fairer Kompromiss, um das Angenehme mit dem Nützlichen zu verbinden, dachte er zynisch.

Weil sie es verdiente, bestraft zu werden, dieses impertinente Frauenzimmer. Nachdem sie begriffen hatte, dass sie mit ihrem Anliegen nicht weiterkam, versuchte das kleine Biest es mit anderen Tricks. Mit einer Spaßrevolte. Sie konnte ihm zwar keinen Penny abluchsen, aber sich auf seine Kosten amüsieren - und zwar gnadenlos.

Sie war genauso dickköpfig wie ihr Bruder. Kein Wunder, dass der Idiot Spielschulden machte. Jack zog es immer wieder an den Spieltisch, obwohl nicht der Hauch einer Chance bestand, dass er seine Schulden jemals zurückzahlen konnte. Er machte weiter, riskierte Geld, das er nicht hatte, weil er einmal den ganz großen Gewinn absahnen wollte. Genau so etwas erwartete man von einer Familie wie den d'Orsays - einem uralten, traditionsreichen Adelsgeschlecht, dem nichts geblieben war als Stolz und Mut.

Lady Amelia wollte ihn vorführen, ihn bewusst demütigen. Und sie war kurz davor, ihr Ziel zu erreichen - so viel Mumm hätte er der Dame gar nicht zugetraut.

Spencer blieb abrupt stehen. Unfassbar, der Raum begann sich vor seinen Augen zu drehen. Warum musste ihm das ausgerechnet hier passieren?!

Die körperlichen Anzeichen waren indes unmissverständlich. Das Blut rauschte in seinen Schläfen. Eine glutheiße Welle erfasste seinen Körper. Die Luft war mit einem Mal zum Schneiden dick und erdrückend schwül.

Verflucht, er musste schleunigst hier raus.

»Wieso tanzen wir nicht weiter?«, wollte sie wissen. »Der Walzer ist noch nicht zu Ende.« Ihre Stimme klang weit weg und gedämpft.

»Mag sein, aber für mich ist er zu Ende.« Spencers Blick schweifte durch den Saal. Heftete sich auf die geöffneten Flügeltüren links von ihm, die auf die Terrasse führten. Er versuchte, sich von ihr zu lösen, doch sie umklammerte weiter seine Schultern und hielt ihn fest. »Grundgütiger«, ächzte er, »lassen Sie mich ...«

»Was?« Ihre Augen schossen nach links, und sie zischte: »Wollen Sie mich etwa hier allein auf der Tanzfläche stehen lassen und zum Gespött der Gäste machen? Das ist ja wohl das Letzte! Sie unzivilisierter, unhöflicher, ungehobelter ...« Als ihr die Adjektive ausgingen, warf sie ihm einen vernichtenden Blick zu, der mehr sagte als tausend Worte. »Ihr Benehmen ist unerhört!«

»Sparen Sie sich Ihre Worte.«

Er fasste sie fest um die Taille und hob Lady Amelia d'Orsay kurzerhand hoch, bis sie mit ihm auf Augenhöhe war und ihre Füße in den zierlichen Abendschuhen in der Luft zappelten.

Einen Herzschlag lang verfolgte er amüsiert, wie sich ihre aquamarinblauen Augen vor Entsetzen und Entrüstung weiteten.

Dann trug er sie hinaus in die Nacht.

2
Bevor Amelia auch nur einen Ton herausbrachte, war der Herzog bereits mit ihr durch die Tür. Er steuerte auf die Terrasse zu, wo sie sich vor nicht einmal einer halben Stunde mit ihrem Bruder Jack gestritten hatte. Der Bunscombe Park war an diesem Abend gut besucht.

Er stellte sie unsanft auf die Füße und winkte lässig ab, als sie tief Luft holte, um ihm gehörig den Kopf zu waschen.

»Sie haben mir keine Wahl gelassen.« Er lehnte sich an eine Marmorsäule und zerrte an seinem Halstuch. »Im Übrigen war es da drin verdammt heiß.«

Amelia trat von einem Bein auf das andere, wütend und zugleich verblüfft, dass er sie wie eine Feder hochgehoben und aus dem Saal getragen hatte. Sie war bestimmt kein zartes Reh, sondern eher von kräftiger Statur. Aber als er sie hochgehoben hatte, hatte sie gespürt, wie sich seine Schultermuskeln anspannten und sein Bizeps hart wie Stahl wurde.
Oh ja. Er war sündhaft gut gebaut.

Und was jetzt? Sie hätte sich an fünf Fingern abzählen können, dass sie sich mit ihrer frechen Klappe auf dünnem Eis bewegte. Aber es war einfach so über sie gekommen. Was hatte sie schließlich noch zu verlieren? Sie hatte Briarbank eingebüßt, Jacks Vertrauen und wahrscheinlich die letzten Aussichten auf einen Ehekandidaten, nachdem sie wie eine wildgewordene Hornisse durch den Ballsaal geschossen war und sich dem Duke förmlich an den Hals geworfen hatte. Ihr Ruf war damit garantiert ruiniert, und pleite waren sie auch; warum also nicht ein wenig Spaß haben? Morland war ein attraktiver, charismatischer, einflussreicher Mann. Sie hatte sich dazu hinreißen lassen, sich über ihre gute Erziehung hinwegzusetzen, etwas, was sie vorher nie gewagt hätte, neugierig, welche Reaktion sie damit provozierte.

Sie hatte mit vielem gerechnet, aber nicht mit einer gewaltsamen Blitzentführung aus dem Ballsaal. Haha, sollten die anderen Debütantinnen sie doch auslachen.

»Wenn man bedenkt«, sinnierte sie laut, »dass ich Sie auch noch verteidigt habe, als die dummen Puten da drinnen mir mit Gerüchten von wegen wilder Draufgänger und so kamen.«

»Was Sie nicht sagen.« Er schnaubte belustigt. »Hoffentlich habe ich Sie eines Besseren belehren können. Treiben Sie es nicht noch einmal auf die Spitze. Am Ende hab ich sowieso die Nase vorn - beim Glücksspiel, bei Verhandlungen, einfach überall.«

Sie lachte.

»Ach ja?«

»Ja.« Er fuhr sich durch die Haare. »Weil ich über eine gewisse Sensibilität verfüge, die Ihrer Familie anscheinend abgeht. «

»Darf ich erfahren, wie Sie das meinen?«

»Ich weiß, wann ich gehen muss.«

Sie starrte ihn mit großen Augen an. Das Licht aus dem Saal erhellte sein wohlgeformtes, aristokratisches Profil. Mit seinen gelockten Haaren und dem Marmor im Hintergrund mutete er wie eine Gottheit auf einem griechisch-römischen Fries an. Unsterblich anziehend.

Und leichenblass.

»Geht es Ihnen nicht gut?«, erkundigte sie sich.

»Vierhundert Pfund.«

»Wie bitte?«

Er schloss die Lider.

»Vierhundert Pfund, wenn Sie auf der Stelle gehen. Ich werde morgen früh alles veranlassen.«

Verwirrt senkte sie den Blick. Vierhundert Pfund, und alles, was sie tun musste, war, zu verschwinden? Jacks Schulden, bezahlt. Ihr Sommer in Briarbank, gerettet.

»Lady Amelia, überlegen Sie nicht lange und retten Sie, was zu retten ist. Gehen Sie, denn ich wiederhole mich ungern. «

Mein Gott, er meinte es ernst. Für meine Gunst hätte er keinen Pfifferling gegeben, dachte sie mit einer Mischung aus Bitterkeit und Selbstironie. Aber dafür, dass sie schleunigst das Weite suchte. Dieser gemeine Kerl.

Eigenartig. Sein eben noch zornrotes Gesicht war aschfahl geworden. Sie hörte, wie er hektisch den Atem einsog und gepresst wieder ausstieß. Lag es an dem dämmrigen Licht oder zitterte seine Hand auf der Balustrade tatsächlich leicht?

Wenn er sich ernsthaft unwohl fühlte, durfte sie ihn nicht allein lassen ... damit würde sie dem beispiellosen Vorbild ihrer Eltern zuwiderhandeln. Und ihre Seele und ihre gute Erziehung für vierhundert Pfund verhökern.

Immerhin gab es ein paar wenige Dinge, die mit Geld nicht aufzuwiegen waren.

Sie trat einen Schritt vor.

»Sie sehen nicht gut aus. Möchten Sie, dass ich Ihnen drinnen was zu trin ...«

»Nein. Mir fehlt nichts.« Er löste sich mit einem Ruck von der Marmorsäule und schritt über die Terrasse, während er die Nachtluft tief einatmete. »Mein einziges Problem ist eine Quasselstrippe in blauer Seide.«

»Sie haben keinen Grund, unhöflich zu sein. Ich versuche doch bloß zu helfen.«

»Ich brauche Ihre Hilfe nicht.« Er wischte sich mit der Hemdmanschette unwirsch die Schweißperlen von der Stirn. »Ich bin gesund und munter wie ein Fisch im Wasser.«

»Warum sind Sie dann so blass?« Amelia schüttelte verständnislos den Kopf. »Wieso würden Sie lieber die Hand abhacken, als sich von einer Dame helfen zu lassen? Und warum Herrgott noch mal kann sich ein Herzog keine Taschentücher leisten?«

Sie löste das Täschchen von ihrem Handgelenk. Ohne die Münzen war es so leicht, dass sie es fast vergessen hatte. Sie nahm ein Taschentuch heraus: Es war aufwändig mit Spitze umsäumt und aus feinstem Leinen.

Einen Herzschlag lang bewunderte sie ihr kürzlich vollendetes Kunstwerk. Ihre Initialen, mit granatrotem Seidenfaden eingestickt. Rings um die Buchstaben rankten sich Weinreben und, in einem zarteren Grün, Farnwedel mit eingerollten Spitzen. Ihr Geniestreich war eine winzige schwarzgoldene Honigbiene, die sie über das A gesetzt hatte.

Es war ihre bisher beste Stickarbeit. Und dieses gute Stück wollte sie hergeben, bloß damit sich Seine Hoheit die adlige Stirn wischen konnte? Wie tief musste sie eigentlich noch sinken, nachdem sie schon bei ihrem Bruder und dem Cottage, ihrem letzten kleinen Refugium, eingelenkt hatte? Fast rechnete sie damit, dass Napoleon aus einem der Büsche sprang und einen Treueeid von ihr verlangte.

»Morland«, ertönte eine tiefe Stimme aus der Dunkelheit.

Amelia fuhr zusammen.

Die Stimme erhob sich abermals, ein leiser Brummbass. Zu ihrer Erleichterung hörte sie vornehmes Englisch. »Morland, sind Sie das?«

Der Duke straffte sich.

»Und wer sind Sie?«

Ein leises Rascheln im Gebüsch deutete darauf hin, dass der Unbekannte näher kam. Unwillkürlich stellte Amelia sich dicht neben den Herzog und drückte ihm das Taschentuch in die Hand. Nach einem Blick auf das hübsche Leinentuch sah er sie stirnrunzelnd an.

Sie zuckte wegwerfend mit den Achseln. Vielleicht war ihre Reaktion falsch, aber ... er war immerhin ein Mitglied des englischen Hochadels, und sie kam aus einer der altehrwürdigen angesehenen englischen Adelsfamilien. Folglich konnte sie es nicht billigen, dass er einem Fremden gegenübertrat und dabei aussah, als hätte er Malaria im Endstadium. Zumal sie ein blütenfrisches Taschentuch dabeihatte.

»Danke«, grummelte er. Er wischte sich hastig die Stirn und stopfte das Tüchlein in die Tasche seines Jacketts, als nicht einer, sondern zwei Männer hinter der Hecke hervortraten und über die niedrige Brüstung auf die Terrasse sprangen. Der Duke trat zwischen Amelia und die beiden ihr unbekannten Männer und stemmte die Hände in die Hüften, eine beschützerische, imponierende Geste.

Da die Fremden im Dunkel standen, konnte Amelia ihre Gesichter nicht erkennen und nahm lediglich zwei Silhouetten wahr, eine modisch gekleidet, die andere ziemlich groß.
»Morland. Ich bin's, Bellamy.« Die Äußerung kam von dem geckenhaft gekleideten Herrn. »Ashworth kennen Sie ebenfalls.« Er zeigte auf den Hünen, der neben ihm stand.

Der Herzog versteifte sich.

»Richtig. Wir sind alte Schulkameraden, was, Rhys?«

Keine Antwort von dem Riesen.

»Eigentlich wollten wir warten, bis Sie aufbrechen, aber die Sache duldet keinen Aufschub. Sie müssen auf der Stelle mitkommen.«

»Mitkommen? Wieso?«

»Das erzählen wir Ihnen später.«

»Sagen Sie es mir jetzt, dann entscheide ich, ob ich Sie begleite oder nicht.«

»Es geht um den Club«, sagte Bellamy knapp.

Er trat ins Licht, und Amelia starrte ihn an. Aha, jetzt dämmerte ihr, woher sie den Namen kannte. Sein Gesicht kam ihr ebenfalls bekannt vor. Es wurde von einer gewollt lässig zerzausten Frisur eingerahmt, Amelias letzte Zweifel zerstreuten sich. Ja, genau, er war einer jener halbseidenen Dandys, der Anführer einer Meute junger verrufener Kerle. Jack hätte alles dafür gegeben, um dazuzugehören. An diese Bande hatte er vierhundert Pfund verloren, bloß weil er mit ihnen mithalten wollte. Ob Bellamy auch bei diesem unsinnigen Spiel um Anteile mitmachte?

»Eine Clubsache?«, hakte Morland nach. »Sie reden vom Stud Club, oder?«

Amelia musste sich zusammenreißen, um nicht undamenhaft aufzulachen. Der Stud Club, na, so was. Männer und ihre albernen Clubs und Geheimbünde.


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